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Aus Rehabilitationsgründen wurde Mord

■ Neuauflage eines Verfahrens um ein messerscharfes Eifersuchtsdrama

Weil er seine Freundin „rehabilitieren“ wollte, wird einem 58jährigen Programmierer jetzt der Mordprozeß gemacht. Gestern begann die Neuauflage des Verfahrens gegen Horst L., der im September vergangenen Jahres den Mann im Gerichtssaal niederstach, der L.s „große Liebe“ erdrosselt hatte.

Die Tragödie begann im Oktober 1993: Damals lernte die arbeitslose Schauspielerin Gabriela L. den 39jährigen Arbeiter Dieter Dame kennen, was beim knapp 20 Jahre älteren Horst „Johnny“ L. – „ich war ihr Vater, Liebhaber und Ehemann“ – Argwohn auslöste. Am 7. Dezember gleichen Jahres erwürgte Dieter Dame Gabriela beim Geschlechtsverkehr – angeblich „aus Liebe“.

Im Prozeß vor der Großen Strafkammer 1 konnte Dame seine Version überzeugend darlegen. Danach sei die alkoholsüchtige Gabriela lebensüberdrüssig gewesen. Am Abend ihres Geburtstags habe sie ihn angefleht, sie irgendwie umzubringen. Diesen Wunsch habe er ihr erfüllt. Das Gericht erkannte auf knapp vier Jahre Haft wegen Totschlags bei verminderter Zurechnungsfähigkeit. Kaum war das Urteil gesprochen, sprang „Johnny“ über die Ballustrade und stach Dame mit einem langen Messer in Rücken und Hals.

In seiner – oft durch kindliche Mimik geprägten – Einlassung zeichnete Horst L. gestern einen anderen Tathergang: „Wenn er sie nicht getötet hätte, hätte sie ihn verlassen“, behauptete der 58jährige. Der „innige Kontakt“ zu Gabriela sei nie abgerissen, wenige Tage vor der Tat habe sie ihn um Hilfe gebeten, weil Dame sie gefesselt habe. Auch am Abend ihres Geburtstages hätten sie telefoniert, kurz bevor er sie besuchen wollte. „Kannst Du was mitbringen“, wollte er damals gehört haben. Dann sei das Telefonat unterbrochen worden. Er habe noch etwas von „sterben“ gehört, dann seien die Worte „das war–s“ gefallen. Danach sei Dame ans Telefon gekommen und soll gesagt haben: „Komm schon her. Du wirst sehen, was hier los ist. Ich bin dann schon weg.“ Dann sei der Hörer aufgelegt worden. Nach der Todesnachricht „sei es bei ihm wie ein Tonband abgelaufen“, so Horst L. gestern: „Sie hatte nicht gesagt: ,Bring was mit', sondern ,der bringt mich um'.“

Doch im damaligen Prozeß habe seine Darstellung kein Gehör gefunden, statt dessen sei Gabriela immer als „versoffene Schlampe“ dargestellt worden: „Das war kein Verfahren gegen Dame, sondern gegen Gabriela.“ Dennoch habe er keine Tötungsabsichten gehabt, sondern nur ihre Rehabilitierung gewollt. Allerdings brachte er zur Urteilsverkündung ein 29 Zentimeter langes Gartenmesser mit, angeblich, weil er zuvor auf dem Friedhof gewesen war, und versteckte es im Klo in seinem Ärmel. „Wenn das Urteil auf Mord gelautet hätte, wäre gar nichts passiert. Das Strafmaß war mir egal.“ Es kam anders: „Ich habe nur noch ,Totschlag' gehört. Wie es dann gelaufen ist, weiß ich nicht mehr.“

Es ist die zweite Auflage des Verfahrens. Der damalige Richter Hans-Ulrich Schroeder hatte gesundheitlich nicht bis zur Urteilverkündung durchgehalten und einen Herzinfarkt erlitten. „Nun beginnt alles von vorne“, so Richter Wilfried Horstkotte gestern zu Beginn. Der Prozeß wird fortgesetzt.

Kai von Appen

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