Aus Le Monde diplomatique: Freiheit, Auto, Nachhaltigkeit
Es ist vergleichsweise immer noch billig und sehr bequem. Nur verpestet es leider die Umwelt und richtet damit irreversible Schäden an. Sollen wir ganz aufs Autofahren verzichten?
Als jugendlicher Umweltaktivist in den 1980er-Jahren war für mich alles klar: Autos sind von Übel, Führerschein ist Teufelszeug. Seinerzeit gab es in Deutschland 29 Millionen Pkws, heute sind es 49,3 Millionen - von denen freilich einige in den fünf neuen Bundesländern herumfahren. Wahr bleibt dennoch: Die Umweltbewegung hat es nicht geschafft, einen Lebensstilwandel weg vom Automobil zu erreichen.
Gründe, um dem massenhaften individualisierten Pkw-Verkehr ablehnend gegenüberzustehen, gibt es zuhauf. Mehr als eine Million Menschen sind seit Erfindung des Pkw allein in Deutschland bei Unfällen gestorben, darunter 100 000 Kinder. Der Autoverkehr macht viele Straßen in den Städten unwirtlich - öffentlicher Raum, der für Menschen geeignet wäre, sähe anders aus. Verkehrslärm tost nicht nur durch die Städte, sondern stört auch die Ruhe der offenen Landschaft. Das Waldsterben hält an.
Bislang ist die Mehrheit der Menschen auf der Welt noch nicht motorisiert, doch die Schwellenländer holen auf und damit steigt der Ressourcenverbrauch und der Ausstoß von Treibhausgasen. Die Folge sind knapper werdende Ölvorräte und steigende Preise. Machen wir uns nichts vor: Nur die Wirtschaftskrise hat die Preisexplosion endlicher Ressourcen aufgehalten. Wenn alle Menschen unseren westlichen automobilen Lebensstil übernehmen würden, dann wären die vor Millionen Jahren entstandenen fossilen Energievorräte im Nu verbraucht.
Schon das jetzige Maß an Treibhausgasemissionen ist global um den Faktor 2 zu hoch. Um sie zu senken, muss gerade der Transportsektor einen Beitrag leisten. Er verursacht EU-weit immerhin 26 Prozent der Treibhausgasemissionen und 70 Prozent des Ölverbrauchs.
Die einschlägigen Analysen zeigen, dass ein erheblicher Teil des enormen Wachstums im Güter- und Personenverkehr auf Pump und Subventionen beruht. Darüber hinaus trägt der Transportsektor in aller Regel noch nicht einmal die Kosten für Unfälle, Lärm und Umweltschäden. Nach der Infras-Studie aus dem Jahre 2007 belaufen sich die externen Kosten des Verkehrs in Deutschland auf 80 Milliarden Euro jährlich - das ist mehr, als der Staat durch Kfz- und Mineralölsteuer einnimmt. Autofahrer und Vielflieger sind eben nicht die Melkkühe der Nation, sondern eine Belastung für die Allgemeinheit, für zukünftige Generationen und für die Menschen in den Entwicklungsländern.
Hinzu kommen allerlei direkte Subventionen für den Transportsektor. Der Flugverkehr ist vielfältig subventioniert: In den Bau von Flughäfen und Zubringerstraßen fließen öffentliche Gelder, das Kerosin ist von der Mineralölsteuer befreit (8,7 Milliarden Euro jährlich), bei internationalen Flügen fällt keine Mehrwertsteuer an (1,8 Milliarden Euro jährlich), Flugzeugbau und Luftfahrtforschung werden bezuschusst.
Auf dem Automobilmarkt werden 50 Prozent der Neuwagen zunächst als Firmenwagen angeschafft und von der Steuer abgesetzt. Bei den Spritfressern sind es sogar mehr als 70 Prozent. Auch die Binnenschifffahrt zahlt keine Mineralölsteuer, und der Unterhalt der Schifffahrtswege wird fast ausschließlich öffentlich finanziert. Steven Gorelick fasste es so zusammen: "Small is beautiful, big is subsidised."
Doch es hilft alles nichts. Weder die ethischen noch die ökonomischen Argumente ändern etwas an der breiten Akzeptanz der billigen Mobilität. Der Flugverkehr und das Privatauto sind eben Teil eines Freiheitsversprechens. Die Appelle, sich einen ruhigeren, weniger zerstörerischen Lebensstil anzugewöhnen, sind mehr oder weniger verhallt. Und die Versuche, den Verkehr spürbar zu verteuern, verlaufen immer wieder im Sande. Die Ökosteuer schaffte nur wenige Erhöhungsstufen, gestoppt von Autolobby und Bild-Zeitung. Die Subventionen für den Verkehr müssen reduziert werden, das ist politisch durchsetzbar, eine Konfrontationsstrategie der Umweltbewegung mit dem Freiheitsversprechen der Mobilität wird dagegen scheitern.
Der Ausbau von Bahn und ÖPNV ist dringend geboten, er findet in der Öffentlichkeit auch Unterstützung. Das Potenzial dieser Strategie darf man aber nicht überschätzen. Deshalb muss die Umweltbewegung versuchen, Autos, Flugzeuge und Containerschiffe zu verändern. Anders als in den 1980er-Jahren sind das keine technologischen Spinnereien mehr. Elektroautos könnten auf Basis erneuerbarer Energien betrieben werden. Deren Batterien sind gleichzeitig Teil der Lösung für das Speicherproblem der Erneuerbaren. Flugzeuge könnten etwa mit Brennstoffzellen betrieben werden und das Wasser aus der Verbrennung zurück auf den Boden bringen, statt es treibhauswirksam in die Atmosphäre zu verteilen.
Damit wären die moralischen Fragen der Automobilität freilich immer noch nicht alle gelöst. Die Berufung auf die Freiheit ist dabei ethisch eigentlich unzulässig - die Freiheit des Einzelnen endet bekanntlich da, wo grundlegende Rechte und Freiheiten anderer verletzt werden. Auch Elektroautos werden Unfälle verursachen und auch Brennstoffzellenflugzeuge werden Lärm machen. Aber die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigt, dass wir mit einem trotzigen "Wir haben aber recht" politisch und zivilgesellschaftlich nicht weiterkommen. Begrenzungen sind politisch offenbar nur durchsetzbar, wenn das Freiheitsversprechen der Mobilität nicht infrage gestellt wird. Fahrverbote in Innenstädten, Tempolimits, Obergrenzen von Motorleistung sind sinnvolle Forderungen, die Einschränkung der individuellen Mobilität ist es nicht. Dagegen erscheint es ein politisch vernünftiges und langfristig realisierbares Ziel, die externen Kosten des Güterverkehrs diesem durch höhere Transportpreise auch anzulasten. Das wäre ökonomisch effizient und kann in einigen Bereichen eine Relokalisierung der Produktion fördern.
Wer weiß, ob die technologischen Lösungen schnell genug realisiert werden können. Immerhin zeichnet sich gerade in den letzten Monaten eine Koalition für den Wandel ab: Automobilkonzerne und Gewerkschaften erkennen, dass die alten Methoden nicht mehr taugen. Die Beharrungskräfte in dieser Branche sind zwar nach wie vor enorm, doch die Suche nach alternativen Produkten gewinnt allmählich an Fahrt. Die Gefahr, dass die Mobilitätskonzepte der Zukunft aus Asien oder gar den USA kommen könnten, hat auch im Autoland Deutschland viele aufgeweckt. Gerade in der schweren Wirtschaftskrise sollte die Entwicklung des Autos der Zukunft Teil eines Grünen New Deal sein, der uns aus der Krise herausführen könnte. Einen Führerschein mache ich trotzdem nicht.
© Le Monde diplomatique, Berlin
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