■ Aus Freudenberg kommt Deutschlands berühmtester Schnaps Von Manfred Kriener und Harry Konopke: Feine Früchte, Brennstoff für Wildkirsch Nr. 1
„Das einzige Wasser, das ich noch suche, ist Kirsch- und Zwetschgenwasser“, erklärte kürzlich ein Beuroner Benediktinermönch und Wünschelrouten-Spezialist einer kleinen Gruppe von
Klosterbesuchern. Wir wüßten eine gute Adresse für Bruder Meinrad: die Brennerei Ziegler in
Freudenberg. Mit neuem Elan wird dort versucht, die geistige Produktpalette wieder in die Topklasse zu liften. Auch ohne Wünschelroute sind dort einige interessante Wässerchen zu finden.
Die promilleträchtigen Köstlichkeiten werden in einem kleinen Hochsicherheitstrakt geschaffen. Zutritt nur unter Aufsicht des diensthabenden Zollbeamten. Jede Schraube, jedes Ventil, jede Leitung – das ganze kupferne Gewirr aus Röhren und Kesseln der Brennerei ist mit amtlichen Plomben bestückt und in einen gläsernen Würfel eingeschlossen. In jedem Technikmuseum wäre diese blitzblank gewienerte Anlage das Prunkstück. Doch als Exponat eignet sie sich wenig: Sie ist noch in Betrieb.
Das vermeintliche Museumsstück ist das pumpende Herz von Deutschlands bekanntester Destillerie. Durch seine Adern flossen im vergangenen Jahr 28.000 Liter hochprozentiges Aroma pur – spärlicher Extrakt aus 420.000 Kilo Obst.
Draußen im Hof ist kistenweise neuer Brennstoff gestapelt: zwanzig Tonnen soeben angelieferter Würzburger Hauszwetschgen. Kritisch äugt Jürgen Marré in die Körbe, prüft mit Daumen und Zeigefinger den Reifezustand der Früchte, zerkaut einige Pflaumen und ist zufrieden. Zuckersüß, butterweich und doch makellos. „Wenn sie am Stil leicht schrumpeln, sind sie für uns gerade richtig.“ Der Brennmeister, 38 Jahre, weiß um die einfache Wahrheit: je mehr Zucker, desto mehr Alkohol, desto mehr Geschmack.
Intensität und Feinheit des Geschmacks ist alles in der fränkischen „Edelobstbrennerei Ziegler“. Seit 1865 werden in Freudenberg, nur einen Steinwurf vom Main entfernt, in einem unscheinbaren Reihenhaus Früchte vergeistigt. Schnaps ist Schnaps? Von wegen. Die fünfzehn Klassiker – von Apfel bis Walnuß – die hier in die haustypische Glasquaderflasche gefüllt werden, gehören zur digestiven Grundausstattung der Topgastronomie.
Da wird manchem Konsumenten allein vom Preis schwummerig. Das Berliner Kaufhaus KaDeWe etwa verlangt für Zieglers „Wildkirsch Nr.1“, das berühmteste Feuerwasser der Republik, selbstbewußte 248 Mark. Alte Jahrgangsbrände kosten noch deutlich mehr.
Seit fünf Jahren hat der gebürtige Burgunder Alain Langlois das Sagen im ehemaligen Familienbetrieb, der vom Leibbrand-Konzern übernommen wurde. Der Ruf der Brennerei war damals besser als manch teuer bezahltes Erzeugnis. Inzwischen hat der neue Geschäftsführer – „Ich bin ein Produktfanatiker“ – alles auf den Kopf gestellt. „Komplexizität“ und vor allem „Power“ sind die Lieblingsbegriffe des 51 Jahre alten Franzosen, wenn es um seine Erzeugnisse geht. Ein Spitzenbrand verkörpert für ihn „Power ohne Ende“. Und die hat er genauso wie das Produkt, das er vermarktet.
Nach der technischen Runderneuerung des Betriebs gärt das zermahlene Fruchtfleisch heute in 60.000 Mark teuren Edelstahltanks, die über eine elektronische Steuerung gekühlt und wie riesige Betonmischer gedreht werden: Die Temperaturkontrolle soll Aromenverluste durch eine zu hitzige Gärführung verhindern. Zugleich wird das Obst penibel selektiert, entsteint, von Blättern und Stilen befreit. Zerbrochene Steine von Aprikosen, Kirschen und Zwetschgen werden aussortiert, weil sie unerwünschte Bitterstoffe enthalten. Die ganzen Kerne werden gewaschen und mitgebrannt – das sorgt für komplexeren Geschmack. Aber nicht bei jeder Sorte sind die Steine zum Mitbrennen geeignet. Lange Versuchsreihen waren notwendig, um für jede Aprikosensorte die ideale Zusatzmenge von Steinen zu erschnüffeln. Und besonders heikle Kandidaten vertragen überhaupt keine Steine, sondern werden nur mit reiner Frucht vergoren.
Mit den Lieferanten wird hart verhandelt: Unreife Früchte gehen ebenso zurück wie angegammelte Ware. Polaroidfotos von Schimmelspuren an Schlehen, Expertisen von Lebensmittelchemikern und Anwaltsschreiben in unmißverständlicher Diktion zeugen vom neuen Geist des Hauses: „Wir müssen die Erzeuger erziehen.“ Sagt Langlois.
Daß um die Destillieranlagen allerlei Mythos rankt, darüber kann der Franzose nur lachen. Eine gute Brenntechnik sei selbstverständlich, da gebe es keine Geheimnisse. Daß die unreinen Alkohole und Fuselöle, die am Anfang und Ende des Brennvorgangs entstehen, sofort abgetrennt werden, ist für ambitionierte Hersteller oberstes Gebot. Entscheidend für die Qualität aber sind die Rohstoffe und ihre schonende Verarbeitung. Kurz: „Das Obst ist alles!“
Für den Himbeergeist lassen Langlois und Marré Früchte eigens aus chilenischen Wäldern kommen, weil dort wegen der Trockenheit keine Maden in den Beeren hausen. Williamsbirnen liefert das schweizerische Wallis, weil in der Höhenlage das Obst langsamer und feiner heranreift. Und für die legendäre Wildkirsche Nr.1 wird eine Cuvée aus vier verschiedenen Kirscharten gemischt, die aus Frankreich, Ungarn und Rumänien stammen. Die genaue Zusammensetzung – die ist, wie in jeder Brennerei, Betriebsgeheimnis.
Daß auf Ziegler-Etiketten der Hinweis „fränkisch“ gestrichen wurde, ist da nur konsequent angesichts der internationalen Zutaten. „Falscher Romantizismus macht keine Qualität“, ist Langlois der Meinung. Wasser dagegen schon. Mit hauseigenem, neutral schmeckendem Quellwasser werden die 70prozentigen Obstdestillate auf 43 Prozent Trinkstärke verdünnt.
Die Resultate können sich riechen lassen. Auf einem Tisch der Brennerei stehen Probiergläser mit den fünfzehn Wässerchen des Hauses – von der Apfel- bis zur Walnußvariation – ausschließlich zur Schnupperprobe. Hier wird nicht getrunken, nicht einmal genippt. Qualität wird nur mit der Nase ermittelt. Die Brände sind feiner und fruchtiger geworden, unangenehme Fehltöne verschwunden. Beim Williams gerät Meister Marré geradezu ins Schwärmen: „So eine Birne finden Sie nirgends.“
Doch der Brennerbetrieb ist noch längst nicht am Ziel. „Was die Österreicher machen, ist Wahnsinn“, sagt Langlois anerkennend über die wachsende Konkurrenz. „Aber“, schiebt er hinterher, „wir haben keine Angst.“ Im Gegenteil: In fünf Jahren soll Ziegler weltweit zu den zehn Besten der Zunft gehören, gibt Langlois die Marschroute aus. Und ehrgeizig war der graumelierte Geschäftsmann schon immer. Sonst hätte er es vor 30 Jahren wohl auch nicht in die französische Ski-Nationalmannschaft gebracht.
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