: Aus Angst vor einem Zuwachs der sezessionistischen „Ligen“ haben die Wähler, die traditionell dem Zentrum verpflichtet sind, gleich die Partei gewählt, die am entschiedensten für Italiens nationale Einheit eintritt: die Neofaschisten. Aus Rom Werner Raith
Auflösung mit verändertem Vorzeichen
Sieger sind sie fast alle, wieder einmal: die Ex-Kommunisten von Partito democratico della sinistra (PDS), die nahezu überall die von ihnen unterstützten Kandidaten entweder schon im ersten Wahlgang durchgebracht oder jedenfalls in die Stichwahl gehievt haben; die norditalienischen Ligen, die erneut bewiesen haben, daß sie in Oberitalien mehr als ein Drittel aller Stimmen auf sich vereinigen und die dies nun auch in Teilen des Zentrums vermögen; und auch die Neofaschisten vom Movimento sociale italiano (MSI), die in Rom und Neapel ihre bisher größten Erfolge eingefahren haben.
Sieger sind auch Alternativbewegungen wie die Grünen, die wohl nach der Stichwahl in Rom den Bürgermeister stellen werden, oder la Rete, deren Gründer Leoluca Orlando mit 75 Prozent der Stimmen in den Bürgermeisterpalast Palermos zurückkehrt, aus den ihn die Intrigen seiner früheren Partei, der Democrazia cristiana, 1991 vertrieben haben. Selbst die kleineren Parteien reklamieren Erfolge – die Liberalen zum Beispiel, deren Palermo-Kandidatin Elda Pucci zwar weit hinter Orlando landete, mit 16 Prozent aber ein Vielfaches der sonstigen PLI- Anteile (letzte Parlamentswahlen: zwei Prozent) einfuhr.
Nur die alte christdemokratische Partei kann nirgendwo Licht erblicken – allerdings hatte sie dafür schon vorgesorgt. Den Niedergang von über 35 Prozent bei den vorangegangenen Wahlen auf nicht einmal mehr zehn Prozent stecken die derzeitigen Parteiführer um den brummeligen Sekretär Mino Martinazzoli weg, als ginge er sie gar nichts an; schließlich hat sich die Partei offiziell vor einem halben Jahr aufgelöst und heißt nun Partito popolare, Volkspartei (Pp). Mißerfolge werden auf die alte DC gebucht, Erfolge hofft man im kommenden Jahr bei den Parlamentswahlen zu haben, wo in den Vergleichstabellen hinter Pp stehen wird: „Bei der letzten Wahl noch nicht existent“.
Doch bei genauem Hinsehen hat von all den vielen Siegern auch wieder niemand sein Ziel wirklich erreicht, selbst Orlando nicht. Trotz seines großen Erfolges hat er seine Bewegung nicht weiter über Sizilien ausdehnen können, als dies schon bei den Parlamentswahlen 1992 der Fall war, nämlich eine kleine Bastion in Trient (zehn Prozent) und ansonsten Ergebnisse so um die zwei bis vier Prozent. Doch viel entmutigter als er zeigen sich die anderen „Sieger“. Die PDS zeigt sich höchst verlegen, nicht nur weil sich die von ihr unterstützten Kandidaten in Rom (Rutelli: 40 Prozent) und Neapel (Bassolino: 43 Prozent) nun bei den Stichwahlen am 5. Dezember mit den Neofaschisten – Gianfranco Fini (36 Prozent) beziehungsweise Alessandra Mussolini (32 Prozent) – messen müssen, sondern weil deren MSI in diesen Städten mit Abstand stärkste Partei geworden ist – mit jeweils fast doppelt so großen Stimmenanteilen wie die PDS.
Die norditalienischen Ligen ihrerseits, trotz Zuwächsen von zehn bis 15 Prozent, haben ihr Ziel verfehlt, einen „Durchbruch zum Meer“ (Liga-Chef Umberto Bossi) zu erzielen. Ihre Kandidaten kommen zwar mehrheitlich in die Stichwahl, aber meist weit hinter den Kandidaten der PDS und ihrer Verbündeten. Zum ersten Mal, seit man ihn kennt, erschien Liga- Chef Bossi entmutigt und weit entfernt von allen großkotzigen Sprüchen im Fernsehen: Er gab, ganz wie die alten Hasen in der Politik, „dem Wähler“ die Schuld an „diesem schwerwiegenden Vorfall“.
Ein Italien also, das seinen „Sfascio“, die Auflösung, irgendwie fortsetzt – nur diesmal etwas anders als früher. Haben die Wahlforscher und die von ihnen abhängigen Politiker gerade erst die Aufteilung des Landes in drei ganz unterschiedlich dominierte Politzonen – im Norden die Ligen, in Mittelitalien die Linksdemokraten, im Süden die Relikte der Democrazia cristiana – zu verdauen begonnen, sehen sich Politologen wie Lucio Colletti oder Norberto Bobbio, sonst eher unterschiedlicher Meinung, plötzlich unisono vor einer neuen, überraschenden Aufteilung politischer Präferenzen: Unternehmer und mittelständische Bürger, bisher eher der Republikanischen, der Liberalen oder der christdemokratischen Partei und damit dem Zentrum verpflichtet, driften zu den Neofaschisten. „Wahrscheinlich“, sagt der Chefredakteur der linksliberalen, der PDS nahestehenden la Repubblica, „haben viele den Kampf gegen die sezessionistischen Ligen allzu ernst genommen und wählen daher eben gleich die Partei, die ihnen am entschiedensten für einen Erhalt der nationalen Einheit steht.“ Soll wohl heißen, daß der einzige Damm gegen den imageschädigenden Vormarsch der Rechten in einer Allianz mit eben jenen Ligen bestehen könnte, die man im Wahlkampf verteufelt hatte.
Doch so leicht wird das wohl alles nicht werden: „Die Aufspaltung der Gesellschaft nach Partikularinteressen“, sagt Bobbio, „läßt wohl in nächster Zukunft so ziemlich alles genauso wahrscheinlich erscheinen wie sein Gegenteil: Die Wähler lassen sich zwar auf die angebotenen Hauptthemen der Politik ein, doch dann wählen sie recht unabhängig von denen, die die Themen aufgebracht haben und Lösungen dafür anbieten. Und das gilt auch für die Ligen, denen man bisher doch eine stramme Gefolgschaft nachgesagt hatte. All das mag als Irrationalismus erscheinen, ist aber wohl Vorbote einer Entwicklung, mit der sich die europäische Kultur insgesamt wird auseinandersetzen müssen.“
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