■ Mit Privatstraßen auf du und du: Aus 6 mach 12
Berlin (taz) – Der Verkehrsminister ist ein Zauberer. Er hat das Geldsäckchen entwickelt, das ähnlich dem Breitöpfchen im Märchen nie leer wird. Der Trick geht so: Mit traurig nach unten gezogenen Mundwinkeln zeigt er dem Publikum zuerst den leeren Beutel. Nichts drin, kein Geld da für schöne neue Straßen, Tunnel und Brücken. Dann schwingt er den magischen Stab und murmelt die Formel „Privatfinanzierung“, und – Abrakadabra – plötzlich fallen viele deutsche Märker von oben hernieder, und er kann doch noch die schönen Asphaltpisten bauen. Auf denen können die Deutschen endlich wieder frei herumbrausen, was den Handel anregt und die lahme Automobilindustrie in Schwung bringt. Wunderbar viele Steuergroschen fließen zurück in den Geldsack, mit dem sich nun locker der geliehene Geldsegen und noch viel mehr zurückzahlen läßt. Und alle Menschen sind glücklich, und der Verkehrsminister bekommt das Bundesverdienstkreuz.
Im Verkehrswegeplan, den Bundestag und -rat 1992 verabschiedeten, waren zunächst sechs privatfinanzierte „Pilotprojekte“ anvisiert. Nachdem Grund und Boden mit Steuermitteln gekauft sind, sollen private Investoren die Autobahn darauf bauen. Wenn sie fertig sind, will der Bund 15 Jahre lang die Auslagen abstottern. Weil ihm die Idee so glänzend erscheint, hat Verkehrsminister Matthias Wissmann – Simsalabim – im letzten November noch schnell sechs weitere Projekte benannt, ohne freilich noch einmal den lästigen Weg durchs Parlament zu nehmen.
Nicht nur dieses Vorgehen erscheint der Bundesinitiative gegen Straßenvorfinanzierung als rechtswidrig. Das ganze Zauberkunststück ist nach ihrer Auffassung ein übler Taschenspielertrick, der nicht mit der Verfassung zu vereinbaren ist. Denn mit der Privatfinanzierung entsteht ein Schattenhaushalt, der in der Buchhaltung der Gegenwart nicht auftaucht, aber künftige Steuern schon verplant. Das widerspreche der im Haushaltsrecht geforderten Vollständigkeit und Einheit der öffentlichen Kassen, monieren die Rechtsanwälte der Initiative. Außerdem würden die SteuerzahlerInnen so weitaus mehr geschröpft, als wenn der Bund die Projekte direkt finanzieren würde – schließlich sind die Finanziers vor allem Großbanken. Die Kosten für die A 8 im Saarland, wo schon bald die Planierraupen anrücken sollen, geben ihnen recht: Der billigste private Anbieter forderte für die Strecke 80 Prozent mehr, als im Haushalt veranschlagt wurden. Annette Jensen
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