Augenzeugen sprechen über „Charlie“: Die Ideen leben weiter
Patrick Pelloux schreibt für „Charlie Hebdo“ und konnte am Tatort Kollegen retten. Sigolène Vinson war in der Redaktion – und überlebte.
Patrick Pelloux ist Arzt, für Charlie Hebdo schrieb er eine Kolumne zu gesundheitspolitischen Themen. Er war am Mittwoch einer der ersten am Tatort des Attentats in Paris und ist in diesen Tagen einer von vielen, die in französischen Medien von ihren Erlebnisse, dem Schock und der Trauer berichten. „Es war schrecklich“, berichtet er im französischen Fernsehen. „Viele waren schon tot, denn man hatte sie ermordet – wie bei einer Exekution. Wir haben es geschafft, andere zu retten.“
Pelloux muss sich immer wieder unterbrechen, um Luft zu holen und das Schluchzen zu unterdrücken. Am Mittwochvormittag befand er sich in der Nähe des Redaktionsgebäudes, als ihn der Hilferuf eines Grafikers von Charlie Hebdo erreichte: „Patrick, wir brauchen dich“. Pelloux kam und versorgte die Verletzten.
Er gebe das Interview auch, um zu sagen, dass die Zeitschrift weitermachen werde, sagte er dem Sender iTélé – und um deutlich zu machen, dass kein Hass gegen die Muslime im Land aufkommen dürfe.
Mittlerweile äußern sich auch immer mehr Redaktionsmitglieder von Charlie Hebdo öffentlich. In einem Interview mit dem Radiosender France Info erzählt der Journalist Laurent Léger, wie er das Attentat erlebt hat: „Plötzlich haben wir es knallen gehört, wir wussten nicht, was das war. Dann ging die Tür auf und da erscheint dieser kleine Mann, der 'Allahu Akbar' rief. Und dann hat er geschossen. Es roch nach Pulver. Ich habe mich hinter einen Tisch werfen können. Die Kollegen sind zu Boden gefallen.“
„Ich werde dich nicht umbringen. Du bist eine Frau.“
Zuerst habe Léger gedacht, es handele sich um einen Witz. „Wir sind ja ziemliche Witzbolde bei Charlie. Aber nein, im Gegenteil, es war Barbarei.“ Léger widerspricht in dem Gespräch dem Gerücht, die Attentäter hätten die Namen der Journalisten gerufen, bevor sie sie erschossen. Er bestätigt dagegen, dass die Attentäter erklärt hätten, Frauen zu verschonen.
Eine Frau, die das Attentat überlebt hat, ist Sigolène Vinson. Der New York Times berichtet sie, sie habe sich auf den Boden geworfen, aber einer der Angreifer habe sie am Arm gepackt und seine Waffe auf ihren Kopf gerichtet. Anstatt abzudrücken habe er mit ruhiger Stimme auf sie eingeredet: „Hab keine Angst, ich werde dich nicht umbringen. Du bist eine Frau. Aber denke darüber nach, was du machst. Es ist nicht richtig.“
Neben den Augenzeugenberichten der Überlebenden sind in französischen Medien auch immer mehr Stimmen von Angehörigen der Getöteten zu vernehmen. Jeanette Bougrab, die Partnerin des ermordeten Chefredakteurs Stéphane Charbonnier, beschrieb diesen im französischen Fernsehen tf1 als „einen Kämpfer, der aufrecht leben wollte“. Er hätte mit der Angst gelebt, im vollen Bewusstsein, dass er getötet werden könnte. „Wenn sie einen Stift in die Hand nehmen, können sie sterben – so sieht es heute in Frankreich aus“, so Bougrab.
Die Tochter des ebenfalls ums Leben gekommenen Karikaturisten Georges Wolinski, Elsa Wolinski, äußert sich ebenfalls öffentlich. Dem Fernsehsender BFMTV sagt sie, sie habe immer gewusst, dass es ein Risiko für ihren Vater gegeben hätte, aber nie geglaubt, dass tatsächlich etwas passieren könne. Dennoch, so Wolinski, hätten die Attentäter aber nicht gewonnen. Die französische Gesellschaft sei in den letzten Jahren gespalten gewesen, aber nun zeige sich, dass man sich vereinigen und Frankreich einen Sinn geben könne – nämlich die Freiheit. „Sie haben meinen Vater ermordet“, erklärt Elsa Wolinski, „aber nicht seine Ideen“.
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