Auftakt zum Selbsthilfetag: „Ich lebe Dich“
■ Berthold Kilian spricht in Bremen vor Betroffenen über Co-Abhängigkeit
In Vorträgen von Berthold Kilian stecken viele geflügelte Worte. Zum Beispiel: „Immer kommt einer und stiehlt mir meine Krise“. Denn Krisen kennen die meisten der rund 60 ZuhörerInnen, die am Mittwoch abend in der Angestelltenkammer zusammenkamen. Viele haben suchtkranke Kinder, Partner oder Freunde und haben sich in Elternkreisen zusammengeschlossen.
Endlich nun kam der Frankfurter „Guru“ Berthold Kilian nach Bremen, um über das aktuell diskutierte Thema Co-Abhängigkeit zu sprechen. „Was Co-Abhängige tun, nannte man früher verwöhnen“, erzählt der ältere Mann mit raspelkurz-geschorenem Haar – und beginnt mit einer Geschichte, einer von vielen weiteren an diesem Abend: Ein Mann steht auf nur einem Bein. Alle Vorübergehenden stützen und massieren den Armen, der vor Schmerzen schreit. Endlich kommt einer und fragt, warum der Mann nicht sein zweites Bein benutzt. „Warum wohl?“, fragt Kilian das Publikum und gibt sich selbst die Antwort: „Er hatte es einfach nicht bemerkt.“
Kilians Thema war an diesem Abend das „Loslassen“. Aus langjähriger Erfahrung in der Suchtkrankenhilfe weiß der Frankfurter Pädagoge, daß Suchtkranke vielfältig gedeckt werden. Jahrelang ziehe sich das Dilemma am Arbeitsplatz oder in der Familie hin. Anstatt das krankhafte Hick-Hack zwischen Helfer und Süchtigem einbrechen zu lassen, kitten die Helfer emsig am morschen Geflecht. Letztendlich ermöglicht ihre „Beziehungssucht“ die Krankheit.
„Wenn Angehörige es sich zur Lebensaufgabe machen, den Kranken zu kontrollieren“, so Kilian, „vergessen sie darüber ihr eigenes Leben“. Deshalb rät er seinem Publikum, aus ihrem „gemütlichen Elend“ auszusteigen. Und gibt einen Trost mit auf den Weg: „Wenn jeder sich gut um sich kümmert, ist für alle gesorgt.“
Liane Aiwanger
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