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Auftakt zum Brunner-ProzessDie Frage nach der Schuld

Dominik Brunner starb, als er vier Kindern beistehen wollte. Nun stehen zwei Jugendliche wegen Mordes vor Gericht. Die zentrale Frage lautet: Wer schlug zuerst zu?

Sein Tod löste eine Welle des Mitgefühls aus: Der 50-jährige Dominik Brunner starb vor zehn Monaten. Bild: dpa

MÜNCHEN taz | Sie haben ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen und den Bayerischen Verdienstorden. Im hessischen Dietzenbach gibt es einen Dominik-Brunner-Platz. In der Münchner Allianz-Arena sind über 60.000 Menschen aufgestanden zur Gedenkminute. Die FC-Bayern-Stars haben zu seinem Gedenken auf Plakaten für Zivilcourage posiert. Die Dominik-Brunner-Stiftung organisiert zu seinem Todestag ein Benefizkonzert. Mit seinem Tod wurde Dominik Brunner, der 50-jährige Manager aus dem niederbayerischen Ergoldsbach, am 12. September 2009 zum Helden. Weil er in der S-Bahn vier Kinder vor jungen Erpressern beschützen wollte. Weil ihn der 17-jährige Sebastian L. und der 18-jährige Markus S. dafür totprügelten.

Nun wird über Brunners Tod vor dem Münchner Landgericht verhandelt. Am Dienstag beginnt der Prozess gegen Sebastian L. und Markus S. Sie sind angeklagt wegen Mordes. Neun Verhandlungstage, 53 Zeugen, vier Sachverständige, eine Anklageschrift von fast 90 Seiten. Ein Freispruch scheint angesichts der Beweislast mehr als unwahrscheinlich. Die Verteidiger der Jugendlichen wollen offenbar eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge erreichen. Der tödliche Angriff sei eine "Affekthandlung" gewesen, kein Mord, heißt es aus dem Verteidigerlager.

Relativ unstrittig sind die Ereignisse, die den Schlägen und Tritten vorausgehen. Am Samstag, dem 12. September, pöbeln die späteren Angreifer Markus und Sebastian zusammen mit ihrem Freund Christoph T., 17, auf dem Bahnsteig der S-Bahn-Station Donnersbergerbrücke vier Schüler an. Sie fordern Geld von ihnen, 15 Euro. Die Schüler, zwischen 13 und 15 Jahre alt, weigern sich. Christoph schlägt zu.

Danach steigt er in die S 6 in Richtung Tutzing. Seinen Freunden ruft er hinterher: "Besorgts denen richtig." Im April wurde Christoph T. wegen des Vorfalls zu einer Strafe von 19 Monaten verurteilt, vorerst auf Bewährung, wegen räuberischer Erpressung, Körperverletzung und Beleidigung.

Die bedrohten Schüler steigen in die S 7. Markus S. und Sebastian L. folgen ihnen. Dominik Brunner ist bereits in der S-Bahn. Er fährt vom Schwimmbad in seine Zweitwohnung in Solln. Die Erpresser setzen sich zufällig ihm gegenüber. Als Sebastian und Markus darüber reden, den Schülern zu folgen und sie zu schlagen, spricht Brunner sie an. Die anderen Fahrgäste verhalten sich ruhig. Brunner ruft mit seinem Handy die Polizei. Er klingt am Telefon offenbar wenig besorgt. Der Streifenwagen, den die Polizei zum Bahnhof Solln schickt, fährt ohne Blaulicht. Am S-Bahnhof Solln steigen sie aus. Von da an gehen die Zeugenaussagen auseinander. Es ist die zentrale Frage des Prozesses: Wer schlug zuerst zu?

Der Zugführer beobachtete die Szene durch sein Fenster. Nach seiner Aussage legte Brunner nach dem Aussteigen Jacke und Tasche ab, nahm eine Kampfhaltung ein und schlug als Erster zu. Brunner hatte früher einmal für kurze Zeit Unterricht in Kickboxen genommen. Die Täter gingen laut Zugführer völlig ruhig auf Brunner zu. Einige Fahrgäste berichteten etwas ganz anderes. Demnach gingen Markus und Sebastian in Angriffshaltung auf Brunner zu. Stimmt das, wäre ein Schlag Brunners Notwehr gewesen.

Markus und Sebastian schlagen und treten auf Brunner ein. Der fällt mit seinem Hinterkopf auf ein Eisengeländer und bleibt benommen liegen. Die Jugendlichen treten von oben auf Brunners Kopf. Erst als die Polizei eintrifft, lassen Markus und Sebastian von ihrem blutüberströmten Opfer ab und verstecken sich in einem Gebüsch, wo sie eine Stunde später festgenommen werden. Dominik Brunner stirbt um 18.20 Uhr an seinen Verletzungen. Die Ermittler stellen später 22 schwere und schwerste Verletzungen fest. Welche davon tödlich waren, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Der Sturz auf das Geländer hat allein wohl nicht den Tod verursacht.

Nach Ansicht der Gutachter seien beide Täter in der Lage gewesen, das Unrecht ihres Handelns einzusehen. Das Urteil wird für den 29. Juli erwartet.

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16 Kommentare

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  • W
    willy

    @ A. Hamann:

    Verraten Sie mir den Namen des Zeitreisebüros mit dem sie aus dem Mittelalter ins 21. Jahrhundert gereist sind?

  • A
    A.Hamann

    Manche wollen es nicht begreifen.

    Das hu hu "System" kann nichts für Jack the Ripper oder diese Typen oder Haie oder Grizzly Bären.

     

    Die TAZ hat hier zum Glück mal sauber berichtet, aber Kommentare wie diese sind einfach naiv und schlicht gesagt DUMM. Mache heute das Autoradio an und höre "Mensch XY, der anfang der 90er schon wegen Mordes an einem Kind verurteilt wurde, wurde heute in Hamburg gefasst, nachdem er eine 45 jährige Frau umgebracht hat"

     

    Und da kommen echt noch Idioten die sich und dem Staat die Mühe aufbürden nach Gründen zu suchen.

     

    Mich interessiert der Grund für die Taten solcher verabscheunserten Menschen nicht. Die sind Dreck, genetische Unfälle, die es kaum wert sind, sich noch nen Kopf um sie zu machen. Und das muss man dene klar machen. Es gibt keine Gesprächsgrundlage mit denen, sie haben nicht mal das Recht sich zu entschuldigen. Denn Ihnen muss klar gemacht werden, das wird ihnen niemand entschuldigen auch kein Gott, NIEMAND.

    Diese widerlichen, abartigen Gestalten gehören weggesperrt, sie haben keinen Platz in der Gesellschaft, man sollte Ihnen den Gefallen tun sie zu erschießen, sofern sie genug Anstand haben darum zu bitten.

  • CP
    Chris Pluck

    Todesstrafe? Ja! Für ein System, das Menschen zu abartigen Monstern macht. Die wichtigste Frage darf nicht lauten, wer zu erst geschlagen hat, wer welche Haltung eingenommen oder wer welcher Nationalität die so genannten Täter sind. Die Frage, die stets als erste gestellt werden muss, ist die nach dem Motiv. Die drei wollten Geld erpressen und haben sich für die Vereitlung an Brunner gerecht. Aber hier darf die Antwort, wie in so vielen Fällen, nicht enden. Warum schlagen sich Menschen in einer saturierten Gesellschaft, wie der unseren für 15 Euro tot? Das zu ergründen, ist die eigentliche Aufgabe. Und wie die Antwort auch aussehen mag, sie ist weitaus brutaler als der bedauerliche Tod Brunners. Dass die Menschen des 21 verdammten Jahrhunderts als Antwort auf gesellschaftliche Verfehlungen immer noch nicht mehr zu bieten haben als Rache an denen, die wir vor Neid und Aggressivität hätten schützen müssen, ist das Verbrechen.

     

    Eine Frage zu Nationalität dann doch: Warum wird kein Platz nach Emeka Okoronkwe benannt?

  • B
    bemerkenswert

    welch geringen stellenwert für die obigen kommentatoren offenbar der rechtstaat inklusive fairer gerichtsverfahren hat.

    dass die frage, ob brunner möglicherweise als erster zugeschlagen hat für die schere der schuld von erheblicher bedeutung ist, ja, dass die frage der schuldabwägung überhaupt gestellt wird, ist offenbar ungeheuerlich.

     

    den obigen kommentaren zufolge, bräuchte es ja offenbar kein gericht. an die laterne mit den kerlen ...

    dass alles, was über den vorfall bekannt ist, aus den medien bekannt ist, die sämtlichts nicht berühmt sind für umfassende und korrekte berichterstattung, ist für den schuldspruch offenbar egal.

     

    angenommen, brunner hat ohne bedroht zu sein zugeschlagen -- dann wäre zuallererstmal wohl das zuschlagen der beiden angeklagten als notwehr zu betrachten! damit wäre uu schon die grundkonstellation eine ganz andere und zumindest der mordvorwurf nicht mehr haltbar.

     

    was auch immer die beiden angeklagten getan haben und was auch immer auf dem bahnsteig passsiert ist (auf dem sich ja offenbar genug leute durch mangelnde courage ausgezeichnet haben -- aus geistehaltungen, die sich mir bei den meisten kommentaen widerzuspiegeln scheinen), sie haben anspruch auf ein korrektes verfahren inkl kompetenter verteidigung und prüfung aller, auch entlastender, umstände.

     

    dass brunner gleich nach der tat, noch bevor wirklich klar war, was eigentlich passiert war, heiliggesprochen wurde und jeglicher zweifel an diesem heiligen mit hasstiraden und lynchphantasien beantwortet wird, ist recht bezeichnend ...

  • Y
    Yamuna

    in einem Land wie Deutschland, spricht man nicht um Recht oder Unrecht, wenn es um Mord oder Totschlag geht! Die Rechtsverdreher schrauben solange, bis die

    Gesetzesmühlen erschöpft sind und dass Opfer -was ja auch einen lächerlichen Orden bekam, zum Täter, und die Täter zu Opfern werden. Dass ist unser Kindergartensystem und ein Menschenleben wird in diesem System schnell zum Backe-Backe-Kuchen Spiel!

    Unsere Gesetze erlauben es nicht, Täter dieser Art zu bestrafen, in diesem Land werden nur Schwarzarbeiter gejagd und bestraft!Wenn diese Mörder mit ihren Seelenklempnern bei Mac Donald sitzen, erhalten sie einen Extabonus für Bahnsteig X

    aus der Wundertüte unseres runtergekommenen Systems,

    wo es keine funktionierende Hirne gibt!

    Dass ist meines Erachtens dass Schlimmste!

  • R
    roman

    ich muss ja nun nicht alles verstehen, weder den artikel noch die frage ob eine eingenommene "verteidigungs/angriffshaltung" ect.irgendwie rechtfertigt dass 2 typen einen menschen derart zu tode prügeln... ob die jungs nun markus ,sebastian,hamit oder murat heissen. brunner hat versucht ein paar kids vor 2 schlägern zu schützen und und wurde dafür im sinne des wortes regelrecht plattgemacht.der halbe bahnhof voller menschen wurde vom abgrundtiefen bahnsteig daran gehindert einzugreifen.nun zu debattieren obs nicht doch " nur" ne körperverletzung mit ganz bedauerlicher todesfolge war ist irgendwie zynisch. ein mensch ist tot.einer der sich was getraut hat...

  • S
    Seq

    sind die beiden dann eigentlich unschuldig wenn brunner als erster zugeschlagen hat?

     

    der artikel lässt dies zumindest vermuten. wahrscheinlich hat brunner selbst an seinem ableben schuld. hätte er sich bloß nicht eingemischt.

     

    manchmal (ver)zweifle ich an den redaktionellen beiträgen der taz.

  • M
    Minstrel

    "Zentrale Frage" ... soso.

    Stellen wir beide, Sie und ich, Herr Hübner, uns mal einen Moment lang vor, in dem Prozeß ginge es um zwei bekennende Neofaschisten, die einen Vietnamesen zu Tode geprügelt hätten. Wäre es dann immer noch eine "zentrale Frage des Prozesses", ob sich das spätere Todesopfer bedroht fühlte und danach handelte? Gelten mildernde Umstände auch für kahlrasierte Schläger?

     

    Sind vor der taz vielleicht doch nicht alle gleich?

  • M
    M.B.

    In einer Polizeischule wurde einmal ein Versuch gemacht. Bei einer Versammlung ging jemand in den Versammlungsraum und nahm die Aktentasche des Versammlungsleiters mit. Ein paar Minuten später fragte er die anwesenden Polizisten, was sie gesehen hatten.

     

    Die Polizisten, von denen man annehmen sollte, dass sie im Beobachten geschult seien waren sich nicht einmal darüber einig, welche Farbe die Jacke des Taschendiebs hatte.

     

    So viel einmal zum Wert von Zeugenaussagen.

  • H
    hatem

    Nachdem was vorangegangen ist, ist es irrelevant, wer zuerst zugeschlagen hat. Wenn es Dominik Brunner war, ist sein Schlag als vorbeugende Notwehr einzuschätzen, gerade bei zwei Gegnern.

  • F
    Frank

    Angeblich werden die Angeklagten durch die renommierte Kanzlei Bossi vertreten.

     

    Mal im Ernst, können die sich so eine Kanzlei leisten, oder arbeiten die aus Imagegründen für lau, oder als Pflichtverteidiger?

  • F
    Fathi

    Mich würde interessier was los wäre wenn die beiden Verdächtigen nicht Markus und Sebastian sondern Hamit und Murad heissen würden..

  • G
    Gunter

    Das war Mord! Es muss so hart bestraft werden, wie es geht. Wenn diese Burschen mit milden Strafen davonkommen sollte sich jeder unbescholtene Bürger überlegen sich für eine Fahrt in dem ÖPN zu bewaffenen und auch von der Waffe gebrauch zu machen, wenn er oder sie von agressiven Jugendlichen bedroht wird - ohne Rücksicht auf Verluste, wenn es um die eigene Selbstverteidigung geht. Keine Gnade mit Mördern!

  • SM
    Stephan Mirwalt

    Irgendwie bedauere ich es schon, daß die Todesstrafe abgeschafft ist.

  • HK
    Horst Knauf

    Zuerst schlug die unfähige deutsche Justiz zu, die die beiden Intensivtäter trotz eines prallen Strafregisters auf die Gesellschaft losgelassen hat, es musste ein Mensch sterben, bis die deutschen Richter aus ihrer Lethargie aufwachen.

     

    Diese Justiz ist eine Gefahr für diese Gesellschaft.

     

    Im Zweifell würde ich in Deutschland IMMER bevorzugen ein Täter zu sein und NIE ein Opfer, denn für die Täter hat die Justiz ein weiches Herz, um die Opfer kümmert sich in diesem Land keiner.

  • FP
    Falsche Politik

    "Die zentrale Frage lautet: Wer schlug zuerst zu?"

    Aha, danke für die Ansage. Ich bin Bayer und hier bei uns lautet für immer mehr Menschen die Frage: "Brauchen wir für solche Leute noch Gerichte, wenn sowieso das Opfer zum Täter gemacht wird, oder lösen wir das Problem in Zukunft mit Femegerichten und einem Seil?" Sie werden das nie verstehen aber bei sehr vielen Menschen hier ist der Glaube an den jetzigen "Rechtsstaat" längst verloren. Bei den Jugendlichen in unserer Gegend sind die Profiteure bisher die autonomen Nationalisten und die schrecken die meisten zum Glück noch mit ihren 3-Reich-parolen ab. Käme jemand ohne einen direkten 3Reich-Bezug wie früher Haider oder heute Wilders, dann würde er geradezu überrannt. Noch gibt es so jemanden zum Glück nicht, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Ich habe mit Jugendlichen beruflich zu tun und bin entsetzt was bei ihnen die an ihrer Realität völlig vorbeigende Politik der heute vorherschenden politischen Korrektheit und ihrer Dogmen auslöst. Glichzeitig verstehe ich die durch die offensichtliche Ungerechtigkeit der Gerichte ausgelöste Abkoppelung vom heutigen Rechtsstaat. Die Wut wird jemand ernten und das ist so sicher wie gefährlich.