Aufstieg: "Eine Uni kann einschüchtern"
Ursula Fuhrich-Grubert, Frauenbeauftragte der HU, über "firstgen", ein Mentoring-Programm, das Studienanfängerinnen aus nichtakademischen Familien den Start erleichtern soll.
taz: Frau Fuhrich-Grubert, in Berlin ist der Anteil von Studierenden aus nichtakademischen Familien besonders gering. Warum wollen Sie das ändern?
Ursula Fuhrich-Grubert: Als Erstes sehe ich eine ethische Verpflichtung, jeden Menschen entsprechend seinen Möglichkeiten zu fördern. Zweitens können wir nur mit männlichen, weißen Studenten aus akademischen Familien keine wissenschaftliche Vielfalt erreichen. Drittens braucht Deutschland qualifizierte Arbeitskräfte. Gerade in Berlin, wo an den Schulen der Anteil von Kindern aus nichtakademischen Familien besonders hoch ist, können wir es uns nicht leisten, dass diese Kinder bei den Unis außen vor bleiben.
Welche konkreten Schwierigkeiten haben denn StudienanfängerInnen aus nichtakademischen Familien?
Viele fühlen sich an der Uni nicht richtig dazugehörig, schon allein deshalb, weil sie viele Begriffe nicht kennen, mit denen ihre KommilitonInnen aus akademischen Familien ganz selbstverständlich um sich werfen. Wenn zu Hause keine Erfahrungswerte zum akademischen Leben vermittelt wurden, kann eine Universität sehr einschüchternd und exklusiv wirken.
ist seit August 2009 als hauptberufliche, zentrale Frauenbeauftragte an der Humboldt-Universität tätig. Die Historikerin hat sich wissenschaftlich mit Minderheiten- sowie Frauen- und Geschlechtergeschichte beschäftigt.
Welche Besonderheiten gibt es hier im Hinblick auf Frauen?
Studien zeigen, dass Studentinnen bestimmte Merkmale der Uni wie Isolation und Anonymität stärker als Problem wahrnehmen als ihre männlichen Kommilitonen. Sie leiden häufiger unter Frustration und Ängsten. Das führt oft dazu, dass das Studium abgebrochen wird oder länger als nötig dauert. Gerade deshalb lohnt sich unser Programm, das die Studentinnen in der Uni verankern soll, auch sehr für die HU – vom Gewinn durch mehr Vielfalt mal abgesehen.
Wie versucht firstgen, diese Verankerung zu erreichen?
Wir bringen jedes Jahr 20 Studienanfängerinnen mit 20 Mentorinnen zusammen, die ebenfalls aus nichtakademischen Familien stammen, aber bereits mindestens im Masterstudium sind. Über ein Semester verteilt gibt es dann mehrere ganztägige Veranstaltungen für alle, bei denen es Raum für Austausch, Netzwerken und gemeinsame Problemlösung gibt. Außerdem können die Mentorinnen wertvolle Tipps zum akademischen Leben an ihre Mentees weitergeben.
Welche denn zum Beispiel?
Das fängt bei vermeintlich ganz kleinen Dingen an: Wie schreibe ich eigentlich eine E-Mail an meinen Prof? Wie spreche ich jemanden an, vor dessen Namen Prof. Dr. Dr. Dr. habil. steht? Mit solchen Fragen kann ich mich alleine drei Stunden quälen – oder ich rufe meine Mentorin an und wir klären das schnell.
Die Schwierigkeiten werden also vor allem auf individueller Ebene angegangen. Ist die Exklusivität der Uni nicht auch ein strukturelles Problem, das so gar nicht gelöst werden kann?
Ja, da stehen schon oft auch strukturelle Probleme dahinter, die wir nicht lösen können. Da muss sich auch einiges in den Köpfen der Dozierenden ändern. Deshalb versuchen wir, die miteinzubinden. Auch den Geldmangel der Uni, der zu oft sehr überfüllten Seminaren führt, können wir nicht ändern. Insofern ist das Programm manchmal auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Welche Erfahrungen haben Sie bis jetzt mit firstgen gemacht, und wie soll es weitergehen?
Firstgen wurde bis jetzt sehr gut aufgenommen, für die gerade gestartete zweite Runde hatten wir deutlich mehr Anmeldungen als Plätze. Auch die Reaktionen der Teilnehmerinnen sind sehr positiv. Wir werden das Programm auf jeden Fall weiterführen und freuen uns, wenn sich andere Unis anschließen. Falls es finanziell möglich ist, würden wir das Programm gerne ausbauen. Dann wäre es auch denkbar, firstgen für Männer zu öffnen – von denen kriegen wir nämlich auch immer mehr Anfragen.
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