Aufstieg des TSG Hoffenheim: Staunen tun die anderen
Die TSG 1899 Hoffenheim geht als Tabellenführer in den 10. Bundesligaspieltag. Dieser Aufsteiger bereitet dem Publikum Spaß - und Gegnern zunehmend Sorgen.
Da ist sie wieder, die alte Debatte unter den Bundesligatrainern, ob nicht jene Teams im Vorteil seien, die nicht der Belastung von Europapokalspielen ausgesetzt sind. Klar sei das der Fall, sagen Übungsleiter wie Armin Veh, dessen VfB Stuttgart sich nur dank der Klasse von Mario Gomez noch in der Spitze halten kann, oder Martin Jol vom Hamburger SV, dessen Mannschaft am Sonntag europapokalgeschädigt beim 0:3 in Hoffenheim chancenlos war wie ein dicker Baum im Wirbelsturm.
Wer will, kann da als Drohung auffassen, was Ralf Rangnick, Trainer ebendieser europapokalverschonten TSG 1899 Hoffenheim, zur Debatte beitrug: "Natürlich sind Leverkusen und wir im Vorteil. Aber ich weiß nicht, ob wir schon bereit wären für internationale Aufgaben. Wir haben unseren Kader nicht auf drei Wettbewerbe ausgerichtet."
Eventuell dient die Liga den Novizen nur als Experimentierfeld. Offenbar gibt es noch viel Luft nach oben bei der TSG. Ganz bodenständig tritt der Tabellenführer morgen erst einmal beim VfL Bochum an. Und an nichts anderes als das Spiel tief im Westen denkt Rangnick. Sagt er. Für ihn ist das Spektakel gegen den HSV bereits "Geschichte". Er denkt nicht "tabellenplatzbezogen" oder daran, wo sein Team am Saisonende platziert sein wird. "Wir wollen so weit kommen, dass wir jeden Gegner schlagen können, egal wie er heißt", sagt er. Immerhin gibt er mittlerweile zu, seine Mannschaft könne wohl nur absteigen, wenn "Naturkatastrophen über sie hereinbrechen sollten".
Derzeit dürften Gegner wie der HSV Spiele gegen Hoffenheim als eine Strafe Gottes empfinden. Bei aller Qualität unterscheidet die Hamburger jedenfalls eines von den Hoffenheimern: Spieler mit der überragenden individuellen Klasse von Obasi, Ba, Ibisevic, Salihovic, Eduardo, Gustavo, Compper oder Beck fehlen ihnen. Jeder einzelne dieser Spieler ist ein Ereignis. Wie Rangnick sie zu einem Team geformt hat, ist außergewöhnlich gutes Coaching.
Rangnick ist nicht überrascht von der Leistung seiner Spieler, wie so mancher, der Hoffenheim auf das Geld seines Mäzens Dietmar Hopp reduziert. Denn zwar investierte der Verein in zwei Jahren 25 Millionen Euro - aber nicht in Stars, sondern in Talente, die andere Clubs übersahen.
Heute stehen die Stürmer Obasi, 22, (elegant wie eine Eiskunstlaufprinzessin, wuchtig wie ein Hundertmetersprinter, ballgewandt wie ein Snookerspieler), Ba, 23, (die Lokomotive mit den Spaghetti-Beinen) und Ibisevic (zehn Tore in neun Spielen) im Fokus der Scouts von Clubs wie Chelsea und Arsenal. Spieler wie Compper oder Beck, in Gladbach beziehungsweise Stuttgart nur Ersatz, könnten die ersten Nationalspieler aus der Hoffenheimer Schule werden.
Dabei geht Rangnick volles Risiko. Wieder einmal setzte der Trainer auch gegen den HSV drei Stürmer und zwei offensive Mittelfeldspieler (Eduardo, Salihovic) ein. "Wir beweisen, dass man mit fünf offensiven Spielern auflaufen kann", sagt er. Keiner dieser Fußballer ist sich zu fein, um Fehler des Mitspielers auszubügeln. Auch hier zahlt sich das Prinzip aus, junge und entwicklungsfähige Spieler zu verpflichten. Egal wie diese Saison ausgeht: Hoffenheim wird den Kader für die kommende erweitern. Die Jungstars sollen bleiben, die Zeit alter Spieler wie Copado, Teber oder Seitz, die für den Durchmarsch von der Regionalliga wichtig waren, läuft ab. Dann muss der Kader auch in der Breite gestärkt werden, um gewappnet zu sein für Spiele im Dreitagesrhythmus, Spiele auf internationalem Parkett.
"Wir haben noch keine Verletzten, keine Sperren oder Sonstiges erlebt", dämpft Rangnick die Euphorie, "ich muss den Spielern sagen, dass sie nicht glauben sollen, was die Medien jetzt über sie schreiben." Sie müssen es aber gar nicht glauben - sie wissen längst, wie gut sie sind. Überheblich sind sie deshalb nicht, nur selbstbewusst. Abgeklärtere Novizen hat die Liga selten gesehen. Staunen tun die anderen.
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