Aufstand in Syrien: Assad macht's dem Vater nach
Panzer beschießen Wohnviertel in Hama. Derweil ringt der UN-Sicherheitsrat um eine mögliche Reaktion auf die Gewalt. Und die deutsche Opposition wirft der Regierung Passivität vor.
DAMASKUS/NEW YORK rtr/dpa/afp | In Syrien haben am Mittwoch Panzer die Protest-Hochburg Hama beschossen. Anwohner berichteten, das Militär des Präsidenten Baschar al-Assad habe den zentralen Orontes-Platz besetzt. "Alle Kommunikationswege sind abgeschnitten", sagte ein Anwohner per Satellitentelefon. "Das Regime nutzt es aus, dass die Medien sich auf den Prozess gegen Ägyptens Expräsident Husni Mubarak konzentrieren, um Hama fertigzumachen." Mubarak war im Februar gestürzt worden, am Mittwochvormittag ist der Prozess gegen ihn in Kairo eröffnet worden.
Die Panzer seien vom Süden her in das Zentrum von Hama vorgerückt, berichtete der Anwohner weiter. Sie seien von ultra-loyalen Einheiten wie den Schabbiha-Milizen begleitet gewesen. Der Panzer-Beschuss habe sich auf das Viertel al-Hader konzentriert. Auf dem Orontes-Platz haben in dem seit fünf Monaten dauernden Aufstand gegen die Führung von Baschar al-Assad einige der größten Demonstrationen stattgefunden.
Das staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete indes, dass "bewaffnete Gruppen von Saboteuren" den Justizpalast in Hama gestürmt hätten. "Hunderte von vermummten Männern auf Motorrädern" hätten das Gebäude überfallen und in Brand gesteckt. Das staatliche Fernsehen zeigte Bilder bewaffneter Zivilisten auf einem Platz in Hama. In einer Menschenmenge waren einige Männer zu sehen, die Gewehre oder Schwerter trugen.
Die 800.000-Einwohner-Stadt gilt als Symbol des Widerstands, seitdem dort 1982 bei der gewaltsamen Niederschlagung eines Aufstands der Muslimbrüder durch Hafis el Assad, den Vater und Vorgänger des heutigen Präsidenten, bis zu 20.000 Menschen getötet wurden.
Deir Essor von Panzern belagert
Auch die Ölstadt Deir Essor im Osten des Landes werde von rund 200 Panzern belagert, sagte Rami Abdel Rahman von der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London. Nach Angaben Rahmans wurden zudem in der Stadt Rakka im Nordosten des Landes zwei Menschen bei einer Demonstration gegen Präsident Baschar el Assad von Sicherheitskräften erschossen. In der Küstenstadt Dschableh sei ein Demonstrant getötet worden. Eine unabhängige Bestätigung dieser Angaben gab es nicht, da ausländische Journalisten seit Beginn des Aufstands in Syrien nicht mehr frei reisen dürfen.
Nach Angaben von Menschenrechtsbeobachtern vom Dienstag waren am Vortag durch die Gewalt des Regimes in ganz Syrien 24 Menschen getötet worden, davon 10 in Hama. Nach dem Fastenbrechen am Montag, dem ersten Tag des Fastenmonats Ramadan, waren Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen, um den Rücktritt von Präsident Assad und seiner Gefolgsleute zu verlangen.
Zähes Ringen im Sicherheitsrat
Italien ruft seinen Botschafter in Damaskus wegen der andauernden brutalen Gewalt zu Konsultationen nach Rom zurück. Außenminister Franco Frattini schlug zugleich vor, dass alle EU-Länder diesem Schritt folgen. Das teilte das italienische Außenamt am Dienstag in Rom mit. Es sprach von einer "entsetzlichen Repression" in Syrien.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen stieg nach zähen Verhandlungen am Dienstag erstmals in konkrete Textverhandlungen ein. Nach langen Gesprächen konnte sich das mächtigste UN-Gremium zwar noch nicht auf ein einheitliches Handeln gegenüber Syrien einigen. Allerdings gelang es nach Angaben aus westlichen Diplomatenkreisen erstmalig, in ernsthafte Gespräche zu einer möglichen Reaktion auf die eskalierende Gewalt in Syrien einzusteigen.
Grundlage für die Beratungen war zunächst der seit bereits zwei Monaten vorliegende Resolutionsentwurf der europäischen Mitglieder des Sicherheitsrates. Laut Teilnehmerkreisen gelang es den Europäern, die bislang eher zögerlichen Regierungen Indiens, Brasiliens und Südafrikas aktiv in die Textverhandlungen einzubeziehen. Es hieß, dadurch sei überhaupt erst ein Einstieg in Verhandlungen mit Russland und China möglich geworden. Russlands UN-Botschafter Witali Tschurkin trat nach dem Verhandlungsmarathon allerdings vor die Presse und verkündete nur, dass es keine Ergebnisse gegeben habe.
Auch wenn der amtierende deutsche UN-Botschafter Miguel Berger den Beginn der Textverhandlungen als einen ersten Fortschritt bezeichnete, so dämpfte er am Rande der Sitzung allerdings die Erwartungen: "Wir haben uns zwar auf einen Text als Verhandlungsgrundlage geeinigt - in diesem sind allerdings noch einige substanziell strittige Punkte enthalten. Hier müssen wir noch Lösungen finden." Es hieß, dass man jetzt zunächst die Hauptstädte mit dem vorläufigen Zwischenstand befassen wolle. Am Mittwochvormittag sollten die Verhandlungen um 10 Uhr New Yorker Zeit (16 Uhr deutscher Zeit) weitergehen.
Kritik von SPD und Grünen
Die Opposition im Bundestag hat der Bundesregierung Passivität angesichts des gewaltsamen Vorgehens der syrischen Sicherheitskräfte gegen Regierungsgegner vorgeworfen. Deutschland müsse endlich seine "guten Beziehungen zu Russland" nutzen, um die Regierung von Baschar el Assads "konsequent zu isolieren", sagte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin der Berliner Zeitung vom Mittwoch. "Assad hat schon lange die Legitimation verloren, für Syrien zu sprechen."
Die Europäische Union und Russland als Mitglieder des Nahost-Quartetts könnten "kein Interesse an einer weiteren Destabilisierung der Region haben", sagte Trittin weiter. In diesem Punkt zeigten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) "erschreckende Passivität".
Der stellvertretende SPD-Fraktionschef Gernot Erler sagte der Zeitung, Deutschland gehöre zu den wichtigsten Partnern Russlands und Chinas. "Warum wurden die Treffen in den letzten Wochen in Berlin und in Hannover nicht dazu genutzt, um die Russen und die Chinesen davon zu überzeugen, von ihrer Haltung im Sicherheitsrat abzurücken?", sagte der frühere Staatsminister im Auswärtigen Amt. "Ich habe keinerlei Aktivitäten auf bilateraler Ebene dazu feststellen können." In den vergangenen Wochen hatte zuerst China und dann Russland mit Deutschland Regierungskonsultationen abgehalten.
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