piwik no script img

Aufstand im JemenDie Revolution gerät ins Stocken

Die Demonstranten hoffen auf einen Libyen-Effekt. Doch in Sanaa ist aus dem Kampf um Demokratie ein Machtpoker zwischen Clans geworden. Davon profitiert Präsident Saleh.

Am Freitag in Jemens Hauptstadt Sanaa: Ein Demonstrant schwenkt die libysche Fahne. Die Protestierenden fordern den Rücktritt von Saleh. Bild: dapd

"Wir sind alle Libyer", schreibt Fatima Saleh auf Twitter. Da sind gerade Berichte über den Fall von Tripolis und die Flucht Gaddafis über die Bildschirme gelaufen. "Wann ist der Jemen dran?" Die Fernsehbilder aus Libyen werden auch der Revolution in ihrer Heimat neuen Auftrieb geben, davon ist die 21-jährige Studentin aus Sanaa überzeugt. Bestärkt durch den Erfolg der Aufständischen in Libyen demonstrierten am Freitag im Jemen Hunderttausende für den Rücktritt von Präsident Ali Abudullah Saleh.

Neuen Schwung kann die Rebellion gut gebrauchen. Denn trotz revolutionärer Szenen in den vergangenen Monaten ist noch kein Machtwechsel in Sicht. Minister, Generäle und Diplomaten kündigten Saleh die Gefolgschaft. Nach einem Sprengstoffanschlag Anfang Juni musste sich der seit 33 Jahren amtierende Präsident Monate lang in Saudi-Arabien behandeln lassen.

Doch die Revolution? "Steckt in einer Sackgasse", räumt die junge Online-Aktivistin ein. Zu viele Anhänger schare der Präsident noch um sich, zu groß sei die Bedeutung der Stämme, zu undurchsichtig die politische Gemengelage. Mit Stromsperren, der Verknappung von Wasser und Treibstoff sowie militärischen Scharmützeln werde die Bevölkerung mürbe gemacht.

Salehs Kalkül scheint aufzugehen: Er wirkt unersetzbar. Mit einer kämpferischen Rede meldete er sich kürzlich zurück. "Ich werde die Macht nicht an Kriegsherren und Ölschmuggler abgeben", sagte Saleh in einer Fernsehansprache, die an eine Versammlung von 5.000 loyalen Stammesvertretern in Jemens Hauptstadt übertragen wurde. Ein Machtwechsel müsse sich im Rahmen der Verfassung bewegen, im nationalen Dialog. Pläne für einen solchen Machtwechsel gibt es seit Jahren, doch immer wieder machte Saleh im letzten Moment einen Rückzieher. "Wir sehen uns in Sanaa", schloss er seine Rede.

Salehs Gegnern ist es nicht gelungen, aus dem Exil Profit zu schlagen. Zwar gründete sich inzwischen ein Übergangsrat, der die in Auflösung begriffene Regierung ersetzen soll. Doch Vertreter der schiitischen Huthi-Rebellen und der Sezessionsbewegung im Süden sahen sich nicht ausreichend vertreten und erklärten ihren Rückzug. Auch einige Vertreter der Jugend, die auf dem "Platz des Wandels" in Sanaa campieren, distanzierten sich. Von den Parteien, die sich seit Jahrzehnten mit Salehs Regime arrangieren, halten sie nicht viel. Den Rat betrachten sie als Versuch des Ahmar-Clans, Salehs stärksten Konkurrenten, die Macht an sich zu reißen.

Die Revolution kidnappen

"Die politische Elite sichert sich ihr Stück vom Kuchen", beschreibt der Politikexperte Abdulghani al-Iryani die Winkelzüge in Sanaa. "Sie kidnappt die Revolution." Der Stammesführer und Unternehmer Hamid al-Ahmar gilt als wichtigster Finanzier der Proteste - nachdem seine Familie lange von Salehs Regierung profitiert hat. Auch dem abtrünnigen General Ali Mohsen dürfte weniger daran gelegen sein, die Demokratie zu fördern, als alte Rechnungen zu begleichen. Aus dem Kampf um mehr Demokratie wird ein Machtpoker zwischen verfeindeten Clans und Stämmen. "Vor diese Wahl gestellt, entscheiden sich viele für Saleh", sagt Iryani.

Einen Ausweg sieht der Mitbegründer des Demokratischen Aufbruchs, einer Denkfabrik in Sanaa, nur in einem "ehrlichen Dialog", der auch die Kräfte des alten Regimes einschließen müsse. Saudi-Arabien könne als Vermittler darauf hinwirken, dass mit dem Präsidenten auch seine ärgsten Widersacher das Land verließen, sagt Iryani. Das Regime hat seinen Machtanspruch vergangene Woche erneuert: Seit dem 23. August ist Regierungschef Ali Mudschawar zurück, der ebenfalls bei dem Anschlag verletzt worden war. Saleh wolle noch vor Ende des Ramadan wiederkommen, heißt es.

Fatima Saleh schreckt diese Aussicht nicht. "Die Jugend hat Mut gefasst. Wir werden uns nie wieder unterdrücken lassen", ist die Studentin überzeugt. Außerdem nennt sie einen weiteren Grund für das Lahmen der Revolution: "Unser Hauptfeind ist uns abhanden gekommen. Wenn Saleh wieder da ist, wird uns das neue Energie verleihen."

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!