Aufstand im Iran: Mit Gewalt in die Isolation
Mit den blutigen Unruhen am Wochenende haben die Auseinandersetzungen im Iran einen neuen Höhepunkt erreicht. Ist die Staatsführung noch Herr der Lage?
BERLIN taz | Für eine Versöhnung mit der Opposition war es ohnehin zu spät, jetzt hat sich das iranische Regime offenbar dazu entschlossen, jeden Kompromiss mit der Opposition auszuschließen und die Protestbewegung endgültig mit Gewalt zu ersticken.
Aber auch der Einsatz von Gewalt birgt für die Machthaber Risiken. Denn selbst ein großer Teil des islamischen Establishments missbilligt dieses Vorgehen. Wichtige religiöse Instanzen und eine ganze Reihe der Großajatollahs sind längst auf Distanz gegangen, einige haben sogar offen die Reaktionen der Regierung als mit islamischen Grundsätzen unvereinbar kritisiert. Auch im Staatsapparat werden viele eine Eskalationspolitik nicht mittragen.
Zahlreiche altgediente Männer der Islamischen Republik, die jahrzehntelang den Staat gelenkt haben, zwei Staatspräsidenten, ein Ministerpräsident, ein Parlamentspräsident, Abgeordnete und Inhaber von Schlüsselpositionen stehen bereits aufseiten der Opposition. Auch immer größere Teile der Bevölkerung, fromme Gläubige, die bisher dem islamischen Staat treu gedient haben, zeigen sich empört über die Brutalität, die das Regime gegen Demonstranten anwendet. So fällt auf, dass immer weniger Menschen an den Freitagsgebeten teilnehmen. Früher waren es zehntausende, heute finden sich trotz Propaganda höchstens ein paar tausend ein.
Je mehr Gewalt das Regime anwendet, desto mehr gerät es in die Isolation. Schon jetzt stützt sich die Staatsführung vorwiegend auf militärische und paramilitärische Kräfte. Doch auch da stellt sich die Frage, wie weit sich die Regierung auf die Loyalität der Soldaten und Milizen verlassen kann. Denn sowohl die Revolutionswächter als auch die Bassidschi-Milizen sind Organisationen, die aus der Revolution hervorgegangen sind. Ihre Angehörigen sind ein Teil der Bevölkerung. Daher ist es fraglich, ob sie über längere Zeit hinweg dazu bereit wären, gegen ihre Landsleute vorzugehen und auf eigene Brüder, Schwestern und Eltern zu schießen. Unbestätigte Berichte über Befehlsverweigerungen, auch auf mittlerer Kommandoebene gibt es bereits.
Allerdings bringt der Einsatz von Gewalt auch für die Opposition große Gefahren mit sich. Denn erstens erfordert die Gewalt eine immer größere Risikobereitschaft. Jeder Teilnehmer an einer Demonstration riskiert jetzt schon sein Leben oder Folter und Haftstrafe. Die Gewalt erzeugt aber auch, wie man bei den Unruhen am Wochenende beobachten konnte, eine zunehmende Radikalisierung der Opposition, was wiederum eine Spaltung der Protestbewegung nach sich ziehen könnte.
Denn es ist bekannt, dass die bisherige Führung, vor allem die Reformer Mir Hossein Mussawi, Mehdi Karrubi und Mohammed Chatami, nicht einen Regimewechsel anstreben, sondern nur Reformen im Rahmen der Verfassung der Islamischen Republik wollen. Doch die Parolen, die zumindest von einem größeren Teil der Demonstranten am Sonntag gerufen wurden, richteten sich gegen das gesamte System. Der Slogan "Freiheit, Unabhängigkeit, iranische Republik", den sich viele Anhänger der "Grünen Bewegung der Hoffnung" zu eigen gemacht haben, zeigt, dass ein Teil der Protestteilnehmer nicht Reformen, sondern einen neuen, demokratischen Staat anstrebt. Gelingt es nicht, wie in den vergangenen Monaten, sich auf Forderungen wie freie Wahlen, Aufhebung der Zensur, Freiheit der Presse und Meinungsäußerung zu einigen, wird es über kurz oder lang zu einer Spaltung kommen.
Andererseits dürfte eine mit Waffen erzwungene Friedhofsruhe nicht die gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und vor allem wirtschaftlichen Probleme lösen, die zu den Protesten führten.
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