■ Mit IHK-Rebellen auf du und du: Aufstand der Krauter
Berlin (taz) – Versicherungskaufleute und Wurstbudenbesitzer wollen mit einer jahrhundertealten Tradition Schluß machen. Sie haben den Industrie- und Handelskammern (IHK) den Kampf angesagt. Gestern gründeten sie in Kassel einen Bundesverband. Initiator Helmut Plüschau aus Wedel hat vor allem ein Ziel: Das Bundesverfassungsgericht soll die Zwangsmitgliedschaft aller Gewerbetreibenden in einer der 83 IHKs kippen. Schon über 2.000 Mitstreiter hat er in seiner Kartei.
Die Rebellen begründen ihr Ansinnen damit, daß sie für Leistungen zahlen, die sie nicht gebrauchen. Weder haben sie Interesse an EU-Beratung und Messevertretungen, noch benötigen sie Beglaubigungen von Außenhandelsdokumenten. Auch für Lehrlingsprüfungen fühlen sie sich nicht zuständig. Außerdem halten die abtrünnigen Kleinunternehmer die IHKs für viel zu selbstgerecht: Sowohl zu noble Residenzen als auch eine Beamtenmentalität machen sie den Kammern zum Vorwurf.
Auslöser der Rebellion ist eine Gesetzesänderung, die Anfang 1994 in Kraft trat. Damals wurden die Mitgliedsbeiträge neu berechnet, nachdem das Bundesverwaltungsgericht die vorher geltende Regelung für ungerecht erklärt hatte. Fortan spielten die Größe und der Besitz eines Betriebes keine Rolle mehr. Statt dessen wurde der Gewinn zur Berechnungsgrundlage. Nur für natürliche Personen gab es noch einen Freibetrag von 15.000 Mark im Jahr; Mini-GMBHs mußten dagegen von der ersten Mark an zahlen. In Einzelfällen stiegen die Jahresbeiträge von 150 auf 2.500 Mark. Hunderttausende bekamen erstmals überhaupt eine Rechnung, während die Beiträge von Großbetrieben stark sanken. Insgesamt haben die IHKs, die unter dem Dach des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) organisiert sind, nach wie vor etwa eine Milliarde Mark pro Jahr in ihren Kassen.
Die SPD hat kürzlich einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht. Er zielt darauf ab, die Zwangsmitgliedschaft aller Gewerbetreibenden in der IHK zu erhalten, die Beiträge für Kleinunternehmen aber wieder deutlich zu senken. Auch der DIHT ist auf dem Rückzug und will den Minifirmen kein Geld mehr abknöpfen. Den Rebellen aber geht es inzwischen ums Prinzip. Sie wollen eine gerichtliche Klärung. Annette Jensen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen