: Aufschlagmonster unter sich
Die BRD steht zum dritten Mal im Finale des Davis-Cups / 3:0-Führung durch einen 5:7, 4:6, 6:1, 11:9, 9:7-Sieg des Doppels Becker/Jelen gegen Zivojinovic/Ivanisevic (Jugoslawien) / Kleine „soziale Öffnung“ ■ Aus Dortmund Matti Lieske
Die von Boris Beckers Manager Ion Tiriac betriebene Hochstilisierung des Davis Cups zu einer gigantischen VIP -Schaukel trug beim Halbfinale gegen Jugoslawien in Dortmund bittere Früchte. Der vermarktungsfreudige Rumäne, vom Deutschen Tennis Bund (DTB) mit der Organisation der Davis -Cup-Heimspiele betraut, hatte mit hohen Eintrittspreisen, dem Verkauf von Logen und luxuriösem VIP-Village dafür gesorgt, daß bei den Begegnungen gegen Brasilien (in Essen) und Dänemark (Frankfurt) mehr von Hummerschwänzen und Champagner die Rede gewesen war als von Passierschlägen und Satzbällen.
Trotz der „sozialen Öffnung“, die der wegen der Imageverschlechterung erschreckte DTB-Präsident Stauder angekündigt hatte, blieb der gewohnte Ansturm diesmal aus, etliche Plätze leer. Selbst die Logen, deren Preis von 20.000 auf 18.000 Mark herabgesetzt worden war (soziale Öffnung), konnten nicht alle verscherbelt werden.
Aber vielleicht hatten die Leute ja auch nur geahnt, was auf sie zukommen würde. Ein Boden, schneller als der Rasen von Wimbledon, und das bei zwei Aufschlagmonstern wie Boris Becker und Slobodan „Bobo“ Zivojinovic, das konnte nicht gutgehen. Die beiden bestritten das erste Match und es kam wie befürchtet: mit 230 km/h fetzten die Aufschläge übers Netz, sechs Spiele hintereinander wurden im ersten Satz vom Aufschläger zu null gewonnen. Von Returns konnte keine Rede sein. „Du hast nicht einmal Zeit zum Denken“, staunte Zivojinovic hinterher, „du kannst nur den Schläger hinhalten und wenn du Glück hast, ist er drin.“
Sensationeller Höhepunkt: ein Ballwechsel beim Stande von 3:3, als die Filzkugel sage und schreibe fünfmal das Netz überquerte. Einige Unachtsamkeiten des Jugoslawen gestatteten Becker dann doch ein Break, er gewann den Satz 7:5. Bobos Moral war dahin, ein paar dubiose Linienrichterentscheidungen gaben ihm den Rest.
Becker ging inzwischen dazu über, sich beim Aufschlag des Gegners ein paar Meter hinter der Grundlinie zu postieren, weil er „mal einen Ball berühren“ wollte. Tatsächlich rutschten ihm daraufhin einige gute Returns vom Racket, und wenn der gelbe Filz einmal im Spiel war, behielt der Weltranglistenvierte aus Leimen meist die Oberhand über seinen etwas hüftsteifen Kontrahenten. Den zweiten Satz gewann er 6:2, den dritten 6:4.
Weltklassetennis habe er geboten, befand Becker später, und während Eric Jelen, der danach sein Einzel gegen den starken Goran Prpic ebenfalls in drei Sätzen gewann, auf die Frage, ob es ihm denn Spaß mache, solches Tennis anzuschauen, wenigstens noch rumdruckste, verkündete Teamchef Nikki Pilic kategorisch: „2:0 macht Spaß“. Das einzige, was ihn interessiere, sei der dritte Punkt.
Der schien beim Doppel reine Formsache zu sein. Doch der vermeintlich schwächste Spieler auf dem Platz, der 16jährige Goran Ivanisevic, war zwar dürr, aber gut. Mit seinen Spindelarmen schlug er auf wie ein Berserker, wuchtete die Schmetterbälle so kraftvoll ins Feld, daß sie fast bis zur Decke sprangen, und warf sich furchtlos in die Volleys. Obwohl Zivojinovic immer noch keinen Return übers Netz hieven konnte, reichte das zum Gewinn der ersten beiden Sätze.
Dann aber ging es bergab. Becker spielte hervorragend, Jelen, bis dahin der Schwächste der vier Akteure, riß sich zusammen, Ivanisevic baute rapide ab, der fast zwei Meter große Bobo mit der Figur eines Holzhackers drosch auf die Bälle wie ein solcher und beförderte sie meist meterweit ins Aus. Das einzige, was den Jugoslawen blieb, waren ihre Aufschläge, ein Matchball im vierten Satz war jedoch alles, was ihnen noch vergönnt war.
Mit einem „unglaublichen“ (Zivojinovic) zweiten Service wehrte Jelen diesen ab, dann verlor Ivanisevic seinen Aufschlag, der vierte Satz ging an die Deutschen. Das sechste Break in 65 Spielen - wieder gegen Ivanisevic brachte im fünften Satz die Entscheidung im Match und im gesamten Halbfinale, über die sich einer besonders freute: Vater Becker, der sich mutig in die Schußlinie des Aufschlages seines Sprößlings gesetzt hatte und prompt fast einem ödipalen First Service zum Opfer gefallen wäre.
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