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Aufregung um Sonnenbad-FotoAn einem Tag am Strand

Ein Foto, aufgenommen nach dem tödlichen Badeunfall zweier Mädchen, schlägt in Italien hohe Wellen: Die Ertrunkenen waren Roma-Mädchen, und Urlauber sonnenbaden unbekümmert weiter.

Im Vordergrund die ertrunkenen Mädchen, im Hintergrund die harmlosen Urlauber. Bild: dpa

Am Strand in der Nähe von Neapel liegen zwei junge Mädchen unter sengender Sonne. Sie liegen nicht auf ihren Handtüchern, sondern die Handtücher auf ihnen, denn: Sie sind tot. Ein kleines Stück davon entfernt sieht man ein Paar beim Sonnenbaden, die Blicke ganz ungeniert in die Kamera eines Fotografen gerichtet, der dieses Szenario ablichtete. Das so entstandene Foto geht gegenwärtig nicht nur durch die italienischen Medien. Dabei steht vordergründig die pietätlose Ignoranz der Badegäste am Pranger, aber eigentlich dreht sich alles um die ethnische Zugehörigkeit der Opfer, die das Bild verschweigt: Die Mädchen waren Roma.

Der Hergang des tragischen Unfalls hätte sich an jedem Ort der Welt ereignen können. Gegen 14 Uhr seien die jungen Mädchen ins Wasser gegangen, obwohl sie scheinbar gar nicht schwimmen konnten, berichtete die italienische Zeitung La Repubblica gestern. Eine große Welle erfasste die beiden und schleuderte sie gegen die Felsen, bis sie schließlich tot an den Strand gespült wurden. Nach Augenzeugenberichten versuchten Lifeguards von den benachbarten Stränden noch zu helfen. Danach erschienen die Carabinieri und brachten zwei Angehörige der Toten, eine Cousine und eine Schwester, auf das Revier. Irgendjemand am Strand erbarmte sich und bedeckte die toten Körper mit Handtüchern. Dann setzte der Badealltag wieder ein. Scheinbar lagen die beiden Leichen stundenlang herum, ohne dass sich viele daran störten - der nächste Strand wäre nicht weit gewesen.

Diese Gleichgültigkeit der scheinbar italienischen Badebevölkerung gilt nun als schockierender Beweis für ein Phänomen, das das ganze Land betrifft. Die mit Veröffentlichung des Fotos losgetretene Zeigefingerdebatte zeigt vor allem, dass Bilder immer über sich selbst hinausweisen. In diesem Fall wirkt das Foto eines tragischen Unfalls und dem Danach wie eine Methaper, die das Verhältnis zweier Völker zueinander auf plakative Weise illustriert. "Italien schaut zu und schert sich einen Dreck um zwei ertrunkene Roma-Kinder", lautet da auf einmal die Botschaft der Aufnahme. Ob man darauf tatsächlich ein italienisches Touristenpärchen sieht und nicht doch zwei Urlauber aus Birmingham oder Berlin, ist für die Bedeutung der Szene unerheblich. Irrelevant, ob da eine Lücke zwischen der Beobachtung und den Fakten klafft. Denn: Das Foto behauptet weder das Gegenteil, noch kann es sich dagegen wehren.

Doch trotz alledem ist an der Geschichte über dem Bild viel Wahres dran. Innenminister Roberto Marroni konnte kürzlich ein Programm durchsetzen, das alle in Italien lebenden Roma mit ihren Fingerabdrücken erfasst, was im In- und Ausland als Zeichen für einen schleichenden Rückfall in dunkelste Mussolini-Zeiten gewertet wurde.

Diese Aktion begann in Neapel passenderweise vor drei Tagen, gerade richtig im Aufmerksamkeitsfenster der Medien. Das Europäische Parlament hatte zuvor die Berlusconi-Regierung in einer Erklärung aufgefordert, die diskriminierende Politik gegen Roma zu beenden. Ein Antrag der rechtsgerichteten Partei Forza Italia, diese Abstimmung aufzuschieben, blieb erfolglos.

Lediglich 0,3 Prozent der italienischen Bevölkerung sind Roma, doch umso häufiger werden sie zu Sündenböcken in einem Land gemacht, in dem sie seit Generationen leben. Im Mai brannten im neapolitanischen Vorort Ponticelli mehrere illegale Barackensiedlungen, die darin wohnenden Roma-Familien mussten unter Polizeischutz gestellt werden. Auslöser war das Gerücht, eine Roma habe einen Säugling geraubt.

In der italienischen Bevölkerung wächst seit Jahren der Groll gegen die Roma. Kürzlich ergab eine Studie einer italienischen Zeitung, dass zwei Drittel für eine Ausweisung der Roma sind, unabhängig davon, ob sie einen italienischen Pass haben oder nicht. Roma werden für Diebstähle verantwortlich gemacht, ihre Siedlungen in der Peripherie sind vielen ein Dorn im Auge. Das Unglück der beiden ertrunkenen Roma-Mädchen selbst ist vor diesem Hintergrund eigentlich Nebensache. Die Gleichgültigkeit der Badegäste ist zwar schauderhaft, aber deshalb von Interesse, weil sie symptomatisch für ein weiterhin nach rechts rückendes, rassistisches Italien steht.

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20 Kommentare

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  • R
    rapante

    So einen Scheiß habe ich schon lange nicht mehr gelesen!!

    Erstens: Warum liegen die Leichen stundenlang darum?? Weil sich scheinbar(!!!) kein Polizist darum schert, die da mal wegzuräumen!!

     

    Zweitens: Sollen die Urlauber weinend neben den Mädchen sitzen und sie betrauern oder was? Die kennen die nicht und außerdem gucken sie wahrscheinlich nur in die Kamera, weil der Fotograf auf sich aufmerksam gemacht hat.

     

    Drittens: Strand wechseln, gut und schön. Wer aber hart im Nehmen ist und sitzen bleibt, hat ja wohl das Recht dazu.

     

    Viertens: Ob Roma oder nicht, ist doch scheißegal. Woher sollen denn die Touristen da am Strand wissen, welcher "Gruppe" die Toten angehören?

  • S
    Sanddorn

    Wie passend, das Captcha zeigt mir gerade das Wort "luege".

     

    Anscheinend hat der Herr Qualitätsjournalist sich verlaufen, die BILD ist am anderen Ende der Rudi-Dutschke Strasse.

  • T
    tunichtgut

    "die Blicke ganz ungeniert in die Kamera eines Fotografen gerichtet" Nein wie böse!

     

    "Scheinbar lagen die beiden Leichen stundenlang herum, ohne dass sich viele daran störten - der nächste Strand wäre nicht weit gewesen." Den strand wechseln weil Leute gestorben sind - was für eine absurde Forderung.

  • T
    Terlato

    Ich bin angewidert, wie der Tod zweier Mädchen so schamlos instrumentalisiert wird. Traurig, dass auch die TAZ auf Recherche verzichtet und sich lieber an diesem geschmacklosen Medienzirkus beteiligt hat. Es gibt zum Glück noch Journalisten, die ihrem Beruf gerecht werden:

    http://www.stefan-niggemeier.de/blog/die-toten-roma-maedchen-von-neapel/

  • HM
    Herr Martin

    Wenn die Mädchen nur scheinbar nicht schwimmen konnten, warum sind sie verunglückt? Anscheinend konnten sie nicht schwimmen.

     

    Wenn die Leichen nur scheinbar stundenlang am Strand lagen, warum sollten sich die Badegäste daran stören? Anscheinend lagen die Leichen stundenlang am Strand.

     

    Wenn es sich nur um eine scheinbar italienische Badebevölkerung (sic!) handelte, welcher Nationalität waren die Badenden? Anscheinend waren es Italiener.

     

    Scheinbar - nur zum Schein.

    Anscheinend - dem Anschein nach.

  • PD
    Prof. Dr. Peter A. Schmitt

    Anscheinend kennt der Artikelschreiber den Unterschied zwischen "scheinbar" und "anscheinend" nicht: 3 x "scheinbar" in so einem kurzen Text und 3 x falsch, das sollte Journalisten (also Textprofis) nicht passieren. Merkt das in der taz-Redaktion denn niemand?

    Grüße,

    PAS

  • AB
    Alex Bohn

    Hört, hört, der italienische Innenminister lässt alle Roma per Fingerabdruck registrieren.

    Aber einen Stern müssen sie noch nicht tragen?

    Dreht Italien jetzt komplett durch?

  • AK
    Andreas Kraus

    Während Antisemitismus, trotz gegelegentlicher Rückschläge, von der europäischen Gesellschaft meist schnell als solcher erkannt und weitgehend abgelehnt wird, rückt das Phänomen des "Antiziganismus" erst langsam ins öffentliche Bewusstsein.

     

    Besonders in den westlichen EU-Staaten sind die Nachfahren der ziganischen Völker nach der fast vollständigen Ausrottung durch die Nationalsozialisten kaum mehr als eine - meist unerwünschte - gesellschaftliche Randerscheinung. Und sind "Zigeuner" in der Wahrnehmung z.B. des Durchschnittsdeutschen überhaupt präsent, dann meist in Gestalt osteuropäischer Roma, die sich als Musiker, Bettler oder auf dem (Arbeits-)Strich ihr Brot verdienen.

     

    Weder die über 500-jährige Geschichte der Sinti und Roma in Mitteleuropa, noch ihre extreme soziale Lage in den neuen EU-Staaten und auf dem Balkan sind bisher einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

     

    Schnell dagegen haben wir alle die gängigen Stereotype zur Hand: "Zigeuner sind Diebe, sie klauen Wäsche von der Leine, sie klauen Kinder, sie sind schmutzig, faul, Zigeuner sind Nomaden, Zigeuner sind freiheitsliebend, ihre Frauen temperamentvoll..."

     

    Die Situation in Italien kenne ich nur aus zweiter Hand, sie erinnert aber immer mehr an den offenen Antiziganimus, der mir beispielsweise in Bulgarien begegnet ist. So konnte der Rassist Wolen Siderow, der für seine Forderung "Zigeuner zu Seife..." berüchtigt ist, bei der letzten Präsidentschaftswahl 20 Prozent erreichen.

     

    In den neuen EU-Staaten leben mindestens 5 Millionen Roma, die meisten von ihnen in Ghettos ohne Aussicht auf Bildung und einen erträglichen Lebensstandard. Ihre Zahl wächst und ihre Integration wird sicher eine der großen sozialen Herausforderungen innerhalb der EU in den nächsten Jahrzehnten.

     

    Es freut mich, dass in der taz zumindest gelegentlich Hintergrundartikel zu diesem Thema erscheinen, in den anderen deutschsprachigen Medien ist hierzu kaum etwas zu entdecken.

     

    Andreas Kraus

     

    Filmemacher, Vorstand des Vereins Freunde Stolipinovos e.V.

    www.stolipinovo.wordpress.com

  • UH
    Ulli Hartwig

    Ein sehr ähnliches Foto wurde vor einigen Jahren an der spanischen Küste aufgenommen, dort waren die Toten Flüchtlinge, die versucht hatten, die Straße von Gibraltar zu überqueren.

    Die Urlauber im Hintergrund waren die gleichen und sie sitzen an vielen Stränden Europas. Nur ist nicht immer und überall ein Fotograf zur Stelle.

  • VG
    V G

    Was wir auf dem Foto nicht sehen:

    Wie lange liegen die Toten da schon so?

    Stehen da evtl. noch Helfer drum herum?

    Was wir nicht wissen:

    Was wäre passiert wenn ein Italiener, Spanier etc.

    ertrunken wäre.

    Und ich glaube nicht, dass sich irgendwo auf diesem Planeten die Strände leeren, wenn jemand ertrinkt.

  • A
    anonym

    Ein Italien, das immer rassistischer und rechter wird? Erinnerungen an die Duce-Ära? Sind das nicht Phänomene, die wir leider in ganz Europa beobachten können? Traurige Tatsache ist, dass es durchaus rechte und rassistische Übergriffe in Italien gab, die aber kein Bild von Gesamt-Italien abliefern können; wer das behauptet, kennt das Land nicht. Und warum muss ich ausgerechnet von RTLII die komplette Geschichte mit Bildbeweis bekommen, wonach das exponierte Bild die Geschichte gänzlich falsch widergibt. Bitte taz, bleibt mein Lieblingsblatt und damit einer gewissen zur Ehrlichkeit verpflichtetn Vernunft treu. Danke!

  • V
    vic

    Auch bei uns empfindet man gegenüber Immigranten vergleichbare Symphatien. Ein Glück dass wir nur in nördlichen Bundesländern zudem gut überwachte Strände haben. Die Registrierung von Fingerabdrücken steht uns ebenfalls bevor,

    und damit es international nicht so auffällt, nimmt man hier gleich alle.

    IM Schäuble wird´s recht sein.

  • VK
    von Korf

    Die Geschichte ist ja scheußlich genug, ich wollte allerdings nur darauf hinweisen, dass der Artikel mehrmals den Sinn entstellend das Wort scheinbar (nicht wirklich, täuschend) verwendet, wo eigentlich anscheinend (wahrscheinlich, vermutlich) gemeint sein dürfte.

  • K
    Konrad

    Wieso sind die Mädchen ertrunken, wenn sie nur scheinbar nicht schwimmen konnten und wo waren die Leichen, während sie scheinbar am Strand lagen?

  • KB
    Karl Bold

    Unabhängigkeit von Pietlosigkeit: Ich begegnete Anfang diesen Jahres in einer Kfz-Werkstatt der italienischen Ehefrau eines Soldaten bei Mönchengladbach die Frau sprach begeistert von Deutschland, wie freundlich und ruhig es hier sie. Und sie beklagte die Kriminalität in Italien, die nie geahndet würden, sie sprach auch die Sinti und Roma an. Erst viel später wurde dieser Konflikt auch in hiesigen Medien öffentlich.

  • TM
    Thomas Meier-Hermann

    Woran kann man eigentlich die ethnische Zugehörigkeit einer Leiche im Badeanzug erkennen? So selten sind dunkle Haare und Augen in Italien nun wirklich nicht.

     

    Plausibler ist wohl die Version, daß die Badegäste so oder so kein Interesse gezeigt haben. Das ist traurig genug.

     

    Aber wie so oft zeigt sich auch hier mal wieder das Phänomen, daß Rassismus zuallererst den Köpfen der aufrechtesten, anständigsten, moralisch unglaublich überlegenen Antirassisten entspringt. Hauptsache mal den rassistischen Italiener belehrt, der ja sowie immer weiter nach rechts rückt.

  • T
    tridge

    ich finde es zwar auch schauderhaft oder bedenklich, wenn die badegäste unbekümmert weiterbaden, während zwei Leichen am strand warten, abgeholt zu werden. jedoch handelt es sich hierbei um ein foto, dessen entstehungsgeschichte nicht bekannt ist... das foto als eine generelle gleichgültigkeit der badegäste zu werten und es als symptomatisch für ein "weiterhin nach rechts rückendes, rassistisches Italien" zu interpretieren finde ich eine sehr gewagte bis vereinfachende schlussfolgerung.

  • JB
    Jens Bücher

    Ich kann mich noch genau erinnern, es war im Urlaub in Bayern, ich war vielleicht ca. 8 Jahre alt, ein Mann war ertrunken. Die Sanis versuchten ihn mit Beatmung noch zu retten, erfolglos, irgendwann kam ein schwarzer Wagen…

     

    Es war tragisch und gerade als Junge beeindruckt dich so was sehr stark, aber natürlich ließ sich kaum einer vom baden abhalten!

     

    Was ich damit verdeutlichen will, natürlich gibt es in Italien leider viele Faschisten, aber dieses Bewispiel ist völlig ungeeignet, um das zu verdeutlichen!

  • S
    Scharat

    Die entscheidende Frage fehlt in dem Artikel: Wie konnte denn die ach so professionelle italienische Militärpolizei die zwei Leichen stundenlang unbewacht am Strand liegen lassen???

  • A
    atalante

    Gruselig.

    Der Hintergrund sollte einem bewusst sein, wenn man sich in Deutschland weit entfernt von gesellschaftlich sanktioniertem und politisch geduldetem bis gefördertem Rassismus wähnt!