Aufklärung: Sex und Klischees
Pro Familia klärt Auszubildende am Arbeitsplatz auf. Doch das auf drei Jahre befristete Projekt läuft aus.
Als Engin Vergili seinen Verhütungskoffer aufklappt, ist die Überraschung bei Fatih K. und den anderen Jungs groß: Pille, Kondom und Spirale sind für alle ein alter Hut. Portiokappe und Verhütungspflaster jedoch, davon haben nur wenige gehört. "Unglaublich, was es alles gibt!", sagt Fatih K. staunend.
Der 21-Jährige ist einer von 311 Auszubildenden, die bislang am Programm "Sexualpädagogische Hilfe in Berliner Ausbildungsbetrieben" teilgenommen haben, Engin Vergili einer der beiden Sozialpädagogen des Vereins Pro Familia, die es leiten. Das Modellprojekt richtet sich an Jugendliche und Erwachsene zwischen 17 und 27 Jahren, die über die Jugendberufshilfe einen Ausbildungsplatz bekommen haben. Viele Teilnehmer sind sozial benachteiligt, haben etwa einen Migrationshintergrund oder eine Lernbehinderung. Das von der Aktion Mensch maßgeblich finanzierte Projekt war auf drei Jahre befristet, in einem halben Jahr ist Schluss. Pro Familia sucht einen neuen Sponsor - auch ein Anlass für den Verein, am Mittwoch eine Bilanz des Projekts zu ziehen.
Engin Vergili und seine Kollegin Daniela Kühling haben bislang in 22 Ausbildungsbetrieben 42 Gruppen betreut. Diese nehmen zwischen 5 und 15 Monate lang am Projekt teil, erarbeiten alle vier Wochen Themenkomplexe wie Sexualität, Familienplanung und Gleichberechtigung am Arbeitsplatz. "Diskussionen gibt es besonders, wenn wir über Homosexualität reden, über sexuelle Belästigung und über Rollenklischees", berichtet Sozialpädagogin Kühling.
Aber es wird nicht nur diskutiert, sondern auch gespielt. Beispielsweise Fotos gezeigt, die scheinbar Ehepaare bei typischen Situationen zeigen: Der Mann trinkt Bier, die Frau spült Geschirr. Erst auf den zweiten Blick erkennt man die Montage, der Mann ist eine Frau. Ein Verwirrspiel mit Gewohnheiten, die Teilnehmer sind irritiert.
"Ich bin mir sicher, dass in jeder Gruppe Leute sind, die Diskriminierung und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz aus eigener Erfahrung kennen", begründet Daniela Kühling die Relevanz des Projektes. Das zeige sich besonders, wenn Teilnehmer das Gespräch unter vier Augen suchen: "Da kommen viele ernste Probleme aus dem Privaten raus." Ihr Hauptziel sei es, Wissen zu vermitteln, damit die Auszubildenden selbstbestimmte Entscheidungen treffen können, sagt Kühling. "Wir machen oft die Erfahrung, dass sie glauben, alles zu wissen, das Wissen aber sehr lückenhaft ist." Anreiz für die Betriebe, ihre Azubis für die Kurse freizustellen, sei es, dass die Arbeitsproduktivität steigt. "Die Betriebe wünschen sich von uns explizit selbstbewusstere Auszubildende."
Die 26-jährige Sina, eine Programmteilnehmerin, wirkt selbstbewusst. Sie hat bereits zwei Söhne, die sie seit ihrer Scheidung allein großzieht. Gleichzeitig macht sie eine Ausbildung zur Tischlerin. Für Sina waren besonders die Kurse zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie wichtig: "Ich fand es toll, zu merken, dass ich nicht die Einzige bin, die sich Sorgen macht, dass sie durch den Beruf ihre Kinder vernachlässigt."
Der Erfolg ist kaum zu messen. Daher formuliert Engin Vergili sein Ziel bescheiden: "Wenn einer, der etwas gegen Homosexuelle hat, das nächste Mal auf einen trifft und an unsere Kurse zurückdenkt, habe ich etwas bewirkt."
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