■ Der zweite Ratschlag des Frankfurter Bürgerforums Paulskirche zeichnet ein düsteres Bild der Lage der Linken: Aufklärung gegen Angst
Das Experiment war lobenswert und endete mit einem Teilerfolg für die Veranstalter. Auf dem zweiten „Ratschlag“ wollte das sogenannte Bürgerforum Paulskirche in Frankfurt am Main den außerparlamentarischen Initiativen und Organisationen der Republik erneut ein Diskussionsforum bieten, ohne dabei die parlamenarische Linke ganz auszugrenzen. Noch am Sonnabend hatte eine flotte Revue mit dem Titel „Zivilcourage gegen Rechts“ (Musik, Kabarett und Politik) mehr als fünfhundert Menschen in das Schauspielhaus gelockt. Am Sonntag aber konnten sich nur noch knapp zweihundert Interessierte dazu aufraffen, zusammen mit den vom Bürgerforum aufgebotenen Prominenten aus Politik und Wissenschaft „außerparlamentarische Kompetenz“ (Bürgerforum) zu demonstrieren und sich Gedanken über Wege zu einer demokratischen Gesellschaft in neuer Verfassung zu machen. Familientreffen war angesagt im legendären Hörsaal V der Universität, in dem – seit 1968 – die großen Theorieschlachten der westdeutschen Linken geschlagen wurden. Und vor ein paar Jahren noch warfen dort außerparlamentarisch organisierte Autonome faule Eier auf Bündnisgrüne wie Dany Cohn-Bendit (MdE), die inzwischen in den Parlamenten sitzen.
Gestern aber flogen noch nicht einmal mehr Gedankensplitter in Form von Zwischenrufen durch den Saal. Dem von den Diskutanten auf dem Podium skizzierten „düstern Lagebild“ (Ilse Bechthold) wollte keine Zuhörerin und kein Zuhörer auf dem Eröffnungsplenum widersprechen. Und dankbar nahm das Auditorium den einzigen konstruktiven Vorschlag, wie die alte Schlagkraft der außerparlamentarischen Bewegungen wieder herzustellen sei, zur Kenntnis: die Inszenierung von aufklärerischen Gegenkampagnen zu den Angstkampagnen der Konservativen, mit denen es Kohl und Konsorten gelungen sei, das Bewußtsein der Bevölkerung und danach – mit Hilfe der SPD – auch die Verfassung (Grundgesetz) zu verändern (Jürgen Seifert). Daß es sich dabei um einen „altertümlichen“ Vorschlag zur Überwindung der Misere der Linken handele, sagte Seifert im Anschluß an seinen Vortrag selbst.
Im Westen also nichts Neues – auch nicht bei den außerparlamentarischen Initiativen und Organisationen. Und am Nachmittag auf den Foren bestätigte man sich wechselseitig, daß die Welt auch im Detail schlecht ist: soziale Demontage, Militarisierung, Aufrüstung gegen die BürgerInnen – und als Basisproblem eine latente Rechtsentwicklung in der Politik. Eine Analyse, zu der auch die angeblich zum Lamento neigende parlamentarische Linke noch immer fähig ist. Vielleicht wäre weniger (an Themen) auf diesem zweiten „Ratschlag“ mehr (an Substanz) gewesen. Denn so blieb die spannende Frage nach dem „Wie“ der Organisation der als notwendig erkannten Aufklärungskampagnen und nach der Art und Weise der (punktuellen) Zusammenarbeit mit der parlamentarischen Linken unbeantwortet. Klaus-Peter Klingelschmitt
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