■ Aufklärer über der Koalition im Einsatz: Augen zu und durch
Im Grunde ist die Sache ganz einfach. Entgegen allen Beteuerungen, öffentlichen Versicherungen und trotz eines Ablasses in Höhe von 17 Milliarden DM hat die Bundeswehr aktiv am Golfkrieg teilgenommen. Der Einsatz war sicher nicht kriegsentscheidend – aber in dem konkreten Fall geht es auch nicht um Quantität, sondern Qualität. Nicht in welcher Form die Bundeswehr im Golfkrieg mitgemischt hat, ist entscheidend, sondern daß. Das ist selbstverständlich auch der Bundesregierung und den Koalitionsparteien klar, und es scheint, als zögere selbst die Opposition angesichts der Konsequenzen, dem „Vorfall“ die ihm gebührende Aufmerksamkeit zu widmen. Bis auf den außenpolitischen Sprecher der SPD fragt kaum jemand nach, das Parlament diskutiert nicht und von einem Untersuchungsausschuß redet nicht einmal die Parlamentsgruppe vom Bündnis 90.
Und das, obwohl in Bonn seit Wochen um den hypothetischen Fall eines Einsatzes der Nato-Aufklärungsflieger Awacs in Bosnien diskutiert wird, die zu einem knappen Drittel mit deutschen Soldaten besetzt sind. Bleiben die Bundeswehrflieger ohne Grundgesetzänderung an Bord, will die FDP die Regierung verlassen. Viele Beobachter vermuten seit längerem, die starken Worte von Lambsdorff und Kinkel seien nur damit zu erklären, daß beide davon ausgehen, sie nie einlösen zu müssen. Das Verhalten Kinkels nach Bekanntwerden des Golfkriegseinsatzes deutscher Awacs-Besatzungen macht diese Vermutung zur Gewißheit. Plötzlich vermag der Außenminister darin keinen Verstoß gegen die Verfassung zu erkennen, obgleich er den Einsatz als solchen nicht bestreitet. Die Nachricht kommt eben einfach völlig ungelegen.
Die Bundesregierung weiß, daß diese Information vor zwei Jahren einen Sturm der Entrüstung ausgelöst hätte. Deshalb ist sie sogar gegenüber dem eigenen Außenministerium verheimlicht worden. Heute dagegen kann ein veritabler Verfassungsverstoß entweder ignoriert oder mühelos hinter einer juristischen Nebelwand versteckt werden. Zwei Jahre Grundgesetzdebatte haben unsere Verfassungspatrioten fast auf Null gebracht. Kinkel scheint nicht einmal zu bemerken, daß er seine Glaubwürdigkeit ad absurdum führt, indem er so tut, als sei die Sache durch Weghören zu erledigen. Dabei müßte selbst Kinkel wissen: Läßt er sich diese Geschichte durch die CDU bieten, kann er im weiteren Verlauf der Debatte um den Einsatz der Bundeswehr einpacken. Schließlich hat die CDU dann einen neuerlichen Präzedenzfall für Bundeswehreinsätze außerhalb des Nato-Gebietes, auf den sie zukünftig verweisen kann. Eine Mehrheit für eine Verfassungsänderung ist da längst nicht mehr nötig. Jürgen Gottschlich
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