: Aufeinander zugeträumt
Somnambul is beautiful: Roland Schimmelpfennigs surreale, vielgespielte Arabische Nacht am Schauspielhaus ■ Von Petra Schellen
Vielleicht muss man stahlhart pragmatisch sein, um sich von diesem Stück provoziert zu fühlen. Darf nie über eventuell irrationale Querverbindungen zwischen Raum und Zeit, nie über quantenphysikalische Unerklärbarkeiten nachgedacht haben. Dann, und nur dann kann man in Roland Schimmelpfennigs Stück Die Arabische Nacht sensationell Neues entde-cken, kann sich durch den märchenhaften Schluss des Stücks, das jetzt am Schauspielhaus Premiere hat, ernsthaft beunruhigt fühlen.
Oder sollte da noch mehr gewesen sein? Sollte es eine geheime Logik geben zwischen den Wegen der fünf Protagonisten, die sich in einer Vollmondnacht im Hochhaus begegnen und Gedanken, Empfindungen und Regieanweisungen ungefiltert von sich geben? Ist es gerade das Somnambule, das die Figuren zu geheimnisvollen Chimären macht, die nicht zwischen konvex und konkav unterscheiden, zwischen nach innen gesogenem Gedanken und nach außen gestülptem Kommentar?
Wie auch immer – nach klarem Muster konstruiert sind jedenfalls die Figuren: Franziska, eine MTA-Assistentin, die immer bei Sonnenuntergang einschläft und Orientalisches träumt, ihre Mitbewohnerin Fatima, die sich währenddessen mit ihrem Freund Kali trifft, Hausmeister Lomeier und Karpati von gegenüber, die die schlafende Franziska zu küssen versuchen.
Ein fast boulevardeskes Spiel mit Räumen betreibt Schimmelpfennig im Spielort Hochhaus, in dessen 7. Stock – vielleicht – das Wasser ausgefallen ist: Er lässt Personen durch Treppenhaus und Fahrstuhl irren und einander so gekonnt verfehlen, dass zwangsläufig Fremde aufeinander treffen und neue Beziehungsgeflechte weben.
Das Geräusch des Wassers, das der Hausmeister in allen Wänden hört, überlagert die gesamte Szenerie – Wasser, das sich blitzschnell in rieselnden Wüstensand verwandeln kann und das manchmal zum Lied anschwillt: dem Lied der Bewohner?
Ein mittelschweres Gedankenexperiment präsentiert Schimmelpfennig im derzeit bundesweit frenetisch gespielten Stück, das einen exponierten Moment herausgreift, um Menschen aus ihren Bahnen zu werfen. Die konkreten Konstellationen sind dabei unwesentlich, auch, dass Lomeiers Erinnerungen inhaltlich mit Franziskas bizarren Scheich-Träumen kompatibel sind. Entscheidend ist vielmehr die sachte schmelzende Grenze zwischen Gedanken und Worten, die Kommunikation zwischen Trauminhalten, die sich dadurch offenbart, dass die von verschiedenen Figuren geträumten Geschichten wie Puzzleteilchen ineinander passen. Oder haben Lomeier und Franziska aus Sympathie aufeinander zugeträumt?
Eine Welt unterhalb des profanen, als Thema nicht gerade revolutionären Hochhausdaseins fördert Schimmelpfennig zutage, indem er sich in die Gedanken der Figuren hineinbeamt und schleichend surreale Szenen schafft, über deren Realitätsgrad die Figuren selbst nicht genau Bescheid zu wissen scheinen.
Ist dem Autor aber vermutlich egal, solange ihm das eine gelungen ist: Realitäts- und Zeitebenen derart komplex miteinander zu verweben, dass niemand mehr weiß, ob der Zuschauer die Figuren träumt oder umgekehrt. Und wo Träume dramaturgisch durchaus mit der Realität konkurrieren können und verhalten die Frage aufscheint, ob Realität nicht nur durch Gedanken erschaffen ist.
Denn in einer Welt, in der Fatima eine Mini-Aktion namens „Er steckt den Schlüssel ins Schloss“ kleinkindgleich augenblicklich in Worte umformt, ist es auch erlaubt, ein Idiom wie „den Geist aus der Flasche lassen“ in Aktion zurückzuformen. Und tatsächlich: Karpati wird zum Flaschengeist und kann das Geschehen von Stund an nur noch vom Boden einer Cognacflasche aus beobachten.
Doch solange man auch nach Mustern hinter den Begegnungen forscht – letztlich bleibt willkürlich, was passiert, letztlich bleiben auch die Figuren einsam, gerade weil sie alle Gedanken ungefiltert aussprechen und durch Worte neue Barrieren schaffen. Denn wenn Lomeier während eines Kusses laut sagt „Ich halte sie, so fest ich kann“, kann wohl kaum vermutet werden, dass ein solcher Satz übermäßige Nähe erzeugt. Soll er auch nicht. Denn Schimmelpfennigs Figuren haben sich längst verirrt in zwanghafter Selbstreflexion und Außenwirkungskontrolle. Erlösung aus ihrer Einsamkeit finden sie so allerdings nicht. Aber vielleicht wollen sie auch gar nicht befreit werden aus ihrer durch Worte zementierten Einsamkeit.
Premiere Freitag, 20 Uhr, Malersaal
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