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Aufarbeitung in ArgentinienProzessstart 25 Jahre nach Diktatur

Mit einem Megaverfahren gegen Offiziere versucht Argentinien erneut, seine blutige Vergangenheit aufzuarbeiten.

Späte Aufarbeitung: Führer der Militärjunta im März 1976 Bild: dpa

BUENOS AIRES taz In Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires hat am Dienstag der erste sogenannte Megaprozess wegen Verbrechen des Ersten Heerescorps während der Militärdiktatur 1976-1983 begonnen. Es ist der bisher größte Prozess gegen führende Offiziere seit 1985. Konkret geht es um die Verbrechen in den 60 geheimen Gefangenenlagern der Militärs, die sich im Kommandobereich des Ersten Heerescorps befanden, darunter die geheimen Gefangenenlager Automotores Orletti, Pozo de Banfield, La Cacha und El Olimpo.

Als Erster steht in dem Verfahren der frühere General Jorge Olivera Róvere (83) vor Gericht. Ihm wird Freiheitsberaubung in 120 Fällen und vierfacher Mord vorgeworfen. Olivera Róvere war 1976 Vizekommandant des Ersten Heerescorps. Als Chef der "Subzona Capital Federal" waren ihm die geheimen Gefangenenlager des Heeres in der Hauptstadt unterstellt. Olivera Róvere saß seit 2004 in Untersuchungshaft, aus der er 2007 gegen Kaution entlassen wurde.

In einer zweiten Etappe des Prozesses werden sich ab Mai fünf weitere Offiziere, ebenfalls Kommandanten der einzelnen Unterzonen, verantworten müssen. Dabei geht es um über 120 weitere Fälle von Freiheitsberaubung.

Der Prozess begann mit einem Eklat, als der Vorsitzende Richter Daniel Obligado sämtliche Pressefotografen ausschloss. Bereits zuvor musste der staatliche Fernsehsender Canal 7 auf Anweisung der Richter seine Kameras abbauen. Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Einschränkungen - der Prozess könne nicht beispielhaft wirken, wenn nicht darüber berichtet werde. Sie verweisen auf eine - nicht verbindliche - Regelung des Obersten Gerichtshofes, nach der Fotos und Fernsehbilder als Garantie für Transparenz und Öffentlichkeit zugelassen werden sollen.

Es ist nicht der erste Versuch, die Militärs des Ersten Heerescorps juristisch zur Verantwortung zu ziehen. 1986 wurde erstmals ein Prozess eröffnet, ein Jahr später jedoch aufgrund der Amnestiegesetze wieder eingestellt. Olivera Róvere selbst wurde 1990 vom damals frisch gewählten Präsidenten Carlos Menem amnestiert.

Erst seit der Amtsübernahme von Präsident Nestor Kirchner ist in die juristische Aufarbeitung der Vergangenheit wieder Bewegung gekommen. Im August 2003 hob das argentinische Parlament die Amnestieregelungen auf, die auf Druck der Militärs 1986/87 ergangen waren und ihnen weitgehende Straflosigkeit garantierten. Im Juni 2005 bestätigte der Oberste Gerichtshof die Aufhebung der Gesetze.

Das Zusammenfassen der einzelnen Verfahren zu einem Megaprozess ist eine langjährige Forderung der Menschenrechtsorganisation, darunter auch das Centros de Estudios Legales y Sociales (Cels), das als Kläger an dem Verfahren beteiligt ist. "Diese Form macht es möglich, dass die Zeugen nicht in jedem einzelnen Verfahren wieder und wieder ihre Aussagen machen müssen," sagt Carolina Varsky, Anwältin vom Cels. Viele Zeugen sind bereits über 80 Jahre alt, ein weiteres Warten käme nur den Angeklagten zugute.

Insgesamt werden in dem Prozess 90 Personen beschuldigt. Sechs davon sind bereits in anderen Verfahren verurteilt worden, und gegen 40 wird bereits prozessiert, knapp die Hälfte von diesen befindet sich auf freiem Fuß. JÜRGEN VOGT

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