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Auf struppigen Pfaden

11 Jahre Kontext – wer hätte das gedacht? Als wackeliges Projekt losmarschiert, avanti dilettanti, ist daraus eine feste Größe geworden. Angesichts des Zustands der Medienlandschaft, siehe das Stuttgarter Pressehaus, ist Kontext nötiger denn je. Wir sind fest entschlossen, noch einmal elf Jahre draufzusatteln. Mindestens.

Die Kontext-Redaktion auf der legendären Stuttgarter Krawalltreppe (von links): Anna Hunger, Oliver Stenzel, Minh Schredle mit Geburtstagstorte, Susanne Stiefel, Joachim E. Röttgers, Gesa von Leesen, Josef-Otto Freudenreich, Sibylle Wais. Foto: Jens Volle

Von Susanne Stiefel und Anna Hunger↓

Das hätten wir uns nicht träumen lassen, als Kontext vor 11 Jahren mit einem Fest im Theaterinterim Türlenstraße startete mit den Trompetenklängen von Stuttgarts Sternekoch Vincent Klink, rund 400 Neugierigen und mit einem wenige Minuten davor gegründeten Verein als Träger. Und ohne Blaupause, wie das überhaupt funktionieren sollte mit dem spendenfinanzierten Journalismus. Für die struppigen Pfade jenseits von Verlegerpresse und öffentlich-rechtlichem Rundfunk gab es schlicht keine Karte und keine Wegweiser. Von der taz als Genossenschaft einmal abgesehen. Aber das war eine andere Nummer.

So sind wir halt vom Theater aus losmarschiert. Avanti dilettanti! Mit wenig Ahnung vom Geld, aber mit der Überzeugung, dass Baden-Württemberg eine kritische Stimme braucht, die das unterirdische Milliardenprojekt Stuttgart 21 unter die Lupe nimmt, die Medien beobachtet und sich als Watchdog im Land versteht. Das war unser Kompass, gewachsen aus der Erkenntnis, dass Journalismus der Sauerstoff der Demokratie ist. Hallo Presse­haus, an Sauerstoff darf nicht gespart werden!

Aufbruch ohne Karte und Wegweiser – na und?

Pionier:innen dürfen keine Angst vorm Stolpern haben. Altmodisch in die Zukunft lautete unsere Devise. Heute ist der spendenfinanzierte Journalismus von Kontext voll im Trend. Zuletzt waren wir beim Innsbrucker Journalismusfestival, bei den Hohenheimer Kommunikationsstudierenden, bei der Böll-Stiftung, auch bei Politi­ke­r:in­nen, die gemerkt haben, dass in der Medien-Branche etwas gehörig falsch läuft. Manche kommen auch von sich aus in die Redaktion – wie Kretschmanns ehemaliger Sprecher Rudi Hoog­vliet – und schütteln den Kopf, wenn sie hören, dass die Landräte in der Region Stuttgart, die sich über leere Pressebänke beklagen, ihren Protestbrief nur noch bei Kontext veröffentlicht bekommen.

Zugegeben, beim ersten Hinhören klingt „gemeinnütziger Journalismus“ nicht sexy. Viel lustiger ist es, über die 86-Kilo-Spende zu reden, die da plötzlich in einem Einkaufswagen vor unserer Tür in der Hauptstätterstraße 57 stand, 10.000 Euro in Münzen, die uns in der wilden Anfangszeit davor bewahrten, schon nach einem halben Jahr den Roll­laden runterlassen zu müssen.

Ohne Unterstützer:innen wäre längst die Luft weg

Das Thema Gemeinnützigkeit mag sperrig sein, aber es ist wichtig. Und es bewegt sich etwas. Die Verlage sparen, als gäbe es kein Morgen mehr (was sein kann), Pressekonzentration und Monopolisierung schreiten voran, die mediale Vielfalt bleibt auf der Strecke. Die Ampel in Berlin hat die Förderung des gemeinnützigen Journalismus in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Das ist aufregend, das ist neu und Kontext ist mittendrin.

Ja, wir haben elf Jahre Non-Profit-Journalismus auf dem Buckel und sagen an dieser Stelle unseren Unter­stütze­r:in­nen aus tiefstem Herzen: Vielen Dank! Ohne sie gäbe es Kontext nicht, ohne sie hätten wir die lange Strecke nicht durchgehalten.

Aber jetzt sind wir nicht mehr allein unterwegs. Inzwischen gibt es immer mehr journalistische Projekte, die die Lücken füllen, die tief graben, die Geschichten schreiben, die nicht mehr geschrieben werden, wenn es nur um Profit geht und nicht um die gesellschaftliche Verantwortung der Medien. Das ist großartig.

Erschreckend aber ist, wenn sich Studierende der Kommunikationswissenschaft nur noch theoretisch mit Journalismus beschäftigen, aber alle, wirklich alle, in die PR-Branche abwandern, weil sie nur dort eine Zukunft sehen. Das muss sich ändern.

Im Stuttgarter Pressehaus, das die Hohen­heimer Studen­t:in­nen vor Augen haben, zeigt sich wie im Brennglas, wohin die Reise eben nicht gehen darf. Niemand holt enttäuschte Abonnenten zurück mit einer 3-Monate Gratis-Zeitung und einem 50-Euro-Gutschein bei Edeka obendrauf. Was es braucht, das sind gut recherchierte, gut geschriebene, hintergründige Artikel, die aufklären und einordnen, die Fakten liefern und bei der Meinungsbildung helfen. Dazu braucht es keine Sonntagsreden auf Verlegertagen, keine Lebensmittelgutscheine, sondern Freiräume für Recherchen, Nachfragen. Es braucht engagierte Redak­teu­r:in­nen.

Heute ist die Pionierin Kontext nicht mehr allein

Gegen den Schrumpfkurs gerade im Lokalen gründen sich immer mehr Projekte. Das jüngste ist „Karla“, das dem „Süd­kurier“ in Konstanz Dampf machen, eine weitere Stimme neben dem Platzhirsch sein will. Gut so. Die Guten müssen zusammenhalten, deshalb hat Kontext gemeinsam mit Correctiv, Netzwerk Recherche und der Augstein-Stiftung – um nur ein paar der inzwischen fast 30 Mitglieder zu nennen – das Forum gemeinnütziger Journalismus mitgegründet.

Und auch wir rüsten uns für die nächsten 11 Jahre. Denn mit der vierten Sparwelle im Pressehaus werden auch in der Region Stuttgart die Lücken immer größer. Deshalb brauchen wir mehr Kolle­g:in­nen mit dem Herz auf dem richtigen Fleck. Wir haben schon an eine Auffanggesellschaft für die Hinausgedrängten gedacht, ein wenig scherzhaft, zugegeben, aber uns fielen etliche ein, die zu uns passen würden. David hilft Goliath – es wäre nicht das erste Mal.

Mit diesem Sprung dürfen wir nicht zu lange warten. Und wir müssen ihn wieder mit unseren Leserinnen und Lesern wagen. Der Plan lautet: Kontext wird eine Genossenschaft. Redaktion und Vorstand arbeiten daran – und hoffen auf möglichst viele Genos­s:in­nen.

Aber jetzt wird erstmal gefeiert! Am Sonntag, 12. Juni, im Stuttgarter Thea­ter­haus, und zwar den ganzen Tag.Gemeinsam mit den Freun­d:in­nen eines kritischen Journalismus, mit unseren Unter­stütze­r:in­nen und mit allen, die nach Corona endlich mal wieder aus dem Haus wollen, die Musik der Soul-Sängerin Thabilé genießen wollen oder Kabarett von Jess Jochimsen.

Und so sieht der Kontext-Festtag im Theaterhaus aus

Los geht’s am 12. Juni um 15 Uhr mit einem Panel zur Zukunft des Journalismus. Es diskutieren Uwe Vorkötter, Ex-Chefredakteur der „Stuttgarter Zeitung“, der das Pressehaus ebenso kennt wie die Veränderungen der Medienlandschaft, Ulrike Winkelmann, Chefredakteurin der taz, Thomas Schnedler von Netzwerk Recherche und Anna Hunger von Kontext. Einführende Worte gibt’s von Kontext-Mitbegründer Josef-Otto Freudenreich, moderieren wird Stefan Siller.

Weiter geht’s um 17 Uhr zu der Ausstellung im Theaterhaus-Foyermit Kontext-Karikaturen von Oliver Stenzel und dem Politcomic „Ökodiktator“ von Peter Unfried und Björn Dermann. Die Laudatio hält Gerhard Seyfried. Und um 18.30 Uhr startet das 11-Jahre-Festmit Musik, Kabarett, mit wenigen und kurzen Reden (versprochen), einem Kontext-Film und einigen Überraschungen.

Panel und Ausstellung sind frei, Karten fürs Fest erhalten Sie über das Thea­ter­haus Stuttgart, online oder telefonisch unter 0711 4020720.

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