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Auf der Suche nach sich selbst

Die Fotografin Aslı Özdemir fasziniert schon lange, was die Gestaltung des Wohnraums über Menschen erzählt. Für ihr aktuelles Projekt setzte sie sich und ihre Familie in Szene

Mit ihrer Mutter im Odenwald, November 2022

Interview Valérie Braungardt

taz: Frau Özdemir, Ihre aktuelle Ausstellung trägt den Titel „ich kann mich jetzt als aka­de­mi­ke­r*in tarnen“. Was verbirgt sich dahinter?

Aslı Özdemir: In meiner Arbeit habe ich nach meiner eigenen Geschichte gesucht – sowohl in meiner Familie als auch im sozialen Raum, an der Kunsthochschule. Mir wurde bewusst, dass ich ohne akademischen Habitus in diesen Raum gekommen bin. Jahrelang habe ich viel Unbehagen in mir getragen, das ich nicht in Sprache übersetzen konnte. Ich hatte das Gefühl, selbst das Problem zu sein.

taz: Sie fühlten sich an der Kunsthochschule nicht ganz zugehörig?

Aslı Özdemir

geboren 1993 in Erbach im Odenwald, lebt und arbeitet als freischaffende Fotografin und Künstlerin in Offenbach am Main. Ihre Reihe „ich kann mich jetzt als akademiker*in tarnen“ ist noch bis zum 25. Mai beim OFF//FOTO-Festival in Mannheim zu sehen.

Özdemir: Ja. Mit den Jahren habe ich mithilfe der kritischen Theorie und Texten von anderen mit ähnlichen Erfahrungen verstanden, dass diese Räume sehr viele Formen der symbolischen Gewalt in sich tragen.

taz: Sie beziehen sich unter anderem auf den Soziologen Pierre Bourdieu, der sich mit der Bedeutung von Stil- und Geschmacksfragen für die soziale Position beschäftigt hat und der auch den Begriff des Habitus nutzt.

Özdemir: Mir wurde klar: Es gibt auch im akademischen Raum unsichtbare Mechanismen der Ausgrenzung von Menschen mit einem anderen Habitus. In dem Titel der Ausstellung nutze ich ganz bewusst das Wort „tarnen“. Ich sage damit einerseits, dass ich Teil dieser Räume bin, aber benenne gleichzeitig ihre Strukturen, die dazu führen, dass sich Menschen tarnen müssen.

Mit ihrem Vater in Mezitli, Türkei, Oktober 2022

taz: Und wie übersetzen Sie die Begriffe Habitus und sozialer Raum ins Visuelle?

Özdemir: Tatsächlich kam die Praxis viel früher als die Theorie. Ich habe mich damit beschäftigt, wie wir unseren Wohnraum gestalten. Eigentlich leben wir ja permanent in unseren eigenen Inszenierungen. Es erzählt viel, was gezeigt wird und was nicht, ob etwa Bücher im Raum sind. Irgendwann habe ich damit begonnen, diese Inszenierungen als Bild festzuhalten. Über Zufälle kam dann die Theorie zu mir, die mir half, all das zu begreifen. So wurde das Intuitive zum Bewussten. Immer wenn ich in Räume gehe, scanne ich mit meinen Augen die Details. Mich interessiert, wie Menschen ihre Sachen positionieren. Das sagt viel über sie aus.

Mit ihrem Großvater und Leyla in Pozcu, Türkei, Oktober 2022

taz: Sie arbeiten auch intensiv mit Fotos aus Ihrem Familienarchiv.

Aslı Özdemir in Offenbach, Dezember 2022

Özdemir: Vor ein paar Jahren fragte ich mich, wer meine Mutter eigentlich vor meiner Geburt war. Was hatte sie als junge Frau für Träume? Deswegen habe ich mir ihre alten Bilder ausgeliehen. Lange habe ich sie mir einfach nur angeguckt. Irgendwann begannen sie, mit mir zu sprechen. Ich erkannte immer wieder neue Dinge, wie Versuche von Berührungen oder welche Lampe im Hintergrund zu sehen ist. Ich habe angefangen, Ausschnitte aus diesem Material freizustellen und sie neu zusammenzusetzen.

Mit ihren Cousinen im Odenwald, Dezember 2022

taz: Waren Sie auf der Suche nach dem Habitus Ihrer Familie?

Özdemir: Ich arbeite mit Fragmenten aus dem Vergangenen, die ich mit der Gegenwart in einen Dialog bringe. Deswegen kann man auch nicht sagen, dass ich die Geschichte meiner Familie oder einer bestimmten Community erzähle. Es bleibt immer meine subjektive Perspektive. Innerhalb weiß geprägter Institutionen mache ich oft die Erfahrung, dass Menschen teils mit vorgefertigten Antworten auf meine Bilder schauen, wenn sie meinen Namen lesen. Oft reduzieren sie meine Arbeiten auf meine Herkunftsgeschichte. Es geht aber um etwas Universelles: die Suche nach der Geschichte des eigenen Körpers, die eigene kritische Verortung innerhalb der privaten und öffentlichen Räume.

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