Auf der Suche nach dem verlorenen Autor

Ein Kommissar recherchiert seinem Schöpfer hinterher und findet eine bruchlose Biografie vor. Maurizio Testa und seine Krimiparodie „Maigret und der Fall Simenon“

Es gibt diese Bücher: Man freut sich wegen der hübschen Idee auf eine angenehm zu verträumende IC-Reise und ärgert sich dann doch nur.

Hier also die hübsche Idee: Kommissar Maigret, ein paar Jahre vor seiner Pensionierung, bekommt den Auftrag, Informationen über den verstorbenen Schriftsteller Georges Simenon zu sammeln, den man von höchster Stelle angeblich „zu einem Aushängeschild der französischen Kultur“ machen will. Maigret, der den Autor der 80 Romane, in denen er selbst als Held auftritt, nur flüchtig kennen gelernt hat, macht sich zuerst widerwillig mit seinen Mitarbeitern Lucas, Janvier und Torrence an die Arbeit. Schließlich fühlt er sich gewiss nicht zum Literaturkritiker berufen. So spricht er mit Menschen, die ihn gekannt haben, darunter die Schriftstellerin Colette, die Simenon einst als Redakteurin zur Publikation der ersten Erzählungen verhalf, Josephine Baker, seiner einstigen Geliebten, Madame Tigy, seiner ersten Ehefrau, Verlegern, Freunden usw. Je mehr, und gewiss nicht nur das Schmeichelhafteste, Maigret über seinen Autor erfährt, desto sympathischer wird er ihm, und als er schließlich eher versehentlich noch an ein paar unangenehme Details aus dem Familienleben rührt, beschließt er, das ganze Unternehmen zu sabotieren, um den Toten ihre Ruhe zu lassen.

Nein, übermäßig subtil ist das Ganze nicht geraten, eher so etwas in der Art eines unterhaltsamen Schulfunktextes. Oder wollen wir im Ernst glauben, Josephine Baker könne sich etwa in dieser Art erinnern: „Ich kam 1925 aus Missouri nach Paris, mit dem Claude Hopkins Orchester, in dem auch Sydney Bechet, der berühmte Jazz-Klarinettist, spielte.“ Offensichtlich müssen sich alle befragten Personen darum bemühen, jeweils Personen der Zeitgeschichte in lexikalischen Nebensätzen zu erklären. Maurizio Testa führt uns einen kulturell schon bemerkenswert ahnungslosen Kommissar Maigret vor, aber er selbst scheint sich sein Wissen auch nur aus Schulenzyklopädien zusammenzustöpseln.

Auch das Stilistische bekommt Maurizio Testa nicht in den Griff. Simenon schreibt zwar additiv, aber nicht unbedingt simpel; er liebt die rondoförmige Wiederkehr bestimmter Motive, versteht es aber in der Regel, Redundanz zu vermeiden. Übrigens scheint es, dass spätestens im letzten Viertel die ansonsten akkurat arbeitende Übersetzerin Karin Fleischanderl die rechte Lust verloren hat und sich ein paar ungute Schlampereien durchgehen lässt.

Vor allem aber leidet der Roman darunter, dass man lange Zeit wirklich nicht weiß, worum es eigentlich geht. Kein Anfangsverdacht, keine heiße Spur. Spannend wird die Sache eigentlich erst, als sich der Kommissar an der Kollaboration von Christian und Georges Simenon in der Nazizeit festzubeißen scheint, was aber mit den Argumenten abgewandt wird, die man kennt: ein jüdischer Freund, die antisemitischen Artikel hat Simenon unter Zwang geschrieben, wenn nicht er, dann ein anderer ... Damit gibt sich Testas Kommissar ebenso zufrieden wie mit den Elogen auf die „Normalität“ des egomanen Verhaltens.

Worum es wirklich geht in „Maigret und der Fall Simenon“, das ist die sorgfältigste Vermeidung jeglicher kritischen Auseinandersetzung mit dem Werk und dem Leben von Georges Simenon, ein unbarmherziges Glattbügeln aller Brüche in der Biografie. Die Parodie eines Kriminalromans, der einem beibringt, wie man das Recherchieren vermeidet. Auch Kommissar Maigret, das hätten wir nicht von ihm gedacht, lässt sich in das Projekt „Abschaffung des Denkens“ einspannen.

Aber vielleicht liegt das auch daran, dass der Held während seiner, nun ja, Ermittlungen vor allem damit beschäftigt scheint, Besorgnis erregende Mengen von Calvados und Bier in sich hineinzuschütten.

GEORG SEESSLEN

Maurizio Testa: „Maigret und der Fall Simenon“. Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. Residenz Verlag, Salzburg 2001. 180 Seiten, 34,90 DM