: Auf den Spuren des Mülls
Müll-Detektive sollen im Prenzlauer Berg für saubere Straßen sorgen / Zwanzig ABM-Kräfte laufen täglich Streife und fahnden nach Müll und Unrat / Abhilfe bei gemeldeten Problemen läßt auf sich warten ■ Von Nina Kaden
„Wenn wir Hundehalter auf den Hundekot ansprechen, dann müssen wir über ihr Liebstes, den Hund, in das Gespräch einsteigen. Sonst hat das keinen Sinn und die blocken ab“, erläutert Renate Kaschke ihre Strategie. Die resolute Berlinerin arbeitet beim Umweltstraßendienst, einem ABM- Projekt mit 20 Mitarbeitern im Prenzlauer Berg. Seit März kontrollieren sie in Zweierteams die Straßen im Bezirk, tragen in ihr Notizbuch ein, wo wild Abfall lagert, Grünanlagen verwüstet und Wände beschmiert sind, welche Straßen und Bürgersteige uneben sind. Nach jeder Tour wird die zuständige Behörde informiert, zum Beispiel die Berliner Stadtreinigung (BSR), das Tiefbau- oder das Grünflächenamt, die dann für Sauberkeit sorgen. Selber haben die Müllwachtmeister keine Befugnisse, abgemeldete Autos wegzufahren oder Unkraut zu jäten.
Akribisch und pflichtbewußt
In der Pappelallee starten Renate Kaschke und Dieter Mann ihre Tour, vor der Tür des gemeinnützigen Vereins „pro futura“, der im Auftrag der Umweltverwaltung das Projekt organisiert. Erst gehen sie die Dimitroffstraße hinauf, völlig durchschnittliche Straßenverhältnisse denkt der Betrachter mit dem Laienblick. Aber weit gefehlt: „Aha! Hier haben wir eine Absenkung in der Straße, die Fahrbahn ist uneben, es fehlt etwas Straßenbelag, zwei Gullis liegen frei.“ Kaschke notiert die Delle vor der Dimitroffstraße 5.
Die Umweltwächter biegen in die Lychener Straße ein, ein Greuelszenario für jeden Pistendienst tut sich auf. Kaschke und Mann machen ihre Arbeit pflichtbewußt und sind alle zehn Meter zum Stopp gezwungen. Akribisch genau notiert Kaschke, was ihr ordnungsliebendes Auge stört. Eine Karriere bis zu Spurensicherung bei der Kriminalpolizei scheint nicht ausgeschlossen: Vor der Nummer eins ist ein Baumstamm von Grünzeug umwuchert, zehn Meter weiter liegen Hundekot, Büchsen, Zigarettenschachteln auf einem Erdstück, das für Bäume reserviert ist, vor der Nummer sieben dann Rohre und Betonsteine auf eben solch einem Stück.
Überhaupt, diese Bauminseln: Vor der Nummer 11 sind zwei Bauminseln ohne Baum, und vor der Nummer 13 dann einfach ein Strauch darin, aber kein Baum! Frau Kaschke schreibt unablässig und schüttelt vor Entrüstung den Kopf. Vor der Nummer 14, so trägt sie ein, ist ein 10 mal 10 Zentimeter großer Ölfleck, auf dem Postkasten vor der 15 Graffiti, vor der 19 wieder ein stark verschmutzter Verteilerkasten, und vor der 21 ein loser Bordstein, rund zwei Meter lang.
Vor der Nummer 23 liegen zwei Gehwegplatten herren- und sinnlos herum ... Ganz zu schweigen von den Bierflaschen und -dosen. Die werden allgemein unter „Straße sehr unordentlich gefaßt“, erklärt Renate Kaschke streng den Fachjargon, selber akkurat im Nadelstreifen mit Rüschen gekleidet.
Fünfzehn Kilometer täglich
Kaschke und Mann sind ein eingespieltes Team, fünfzehn Kilometer Ostberliner Pflaster inspizieren die beiden täglich. „Soll ich schreiben: Defekte Gehwegplatte vor der Nummer 35, 20 mal 20 Zentimeter groß?“ Die 57jährige versichert sich vor jeder Eintragung bei ihrem jüngeren Kollegen. Meistens nickt der nur, diesmal aber rät er: „Nimm doch die ganze Platte, die muß doch sowieso ausgewechselt werden.“ Vier Mal sind sie die Strecke seit März gegangen. Geändert hat sich trotz ihrer Hinweiszettel kaum etwas. „Nur wenn Öl ausläuft, wird das sofort beseitigt“, ist ihre Erfahrung.
Alle Löcher, Versackungen, Hebungen, Stufen, Risse, Spalten, Zerstörungen, Verschmutzungen, Abnutzungen – so lauten die Defektkategorien – kann das Tiefbauamt nicht sofort beheben, nachdem die Umweltwächter die Beamten alarmiert haben. „Die stellen dann Schilder auf: „Achtung, unebener Gehweg“, weiß Kaschke.
„Das wär' schön!“ wünscht sich ein Anwohner der Pappelallee. Zufällig kommt er vorbei, als Sauberfrau und Saubermann in ein Bauloch gucken, in dessen Tiefe paradiesische Zustände für ganze Rattenvölker herrschen. „Überall – auf deutsch gesagt – Hundescheiße, und dann die großen parkenden Autos. Mit zwei Einkaufstaschen ist es ein Balanceakt auf dem Gehweg“, klagt der Passant.
Das wäre anders, wenn alle Hundehalter die Tips des Pistendienstes befolgen würden und die Hunde am Straßenrand ihr Geschäft erledigten. Doch die wenigsten Herrchen und Frauchen lassen sich gerne vorschreiben, wo der kleine Liebling sich erleichtern darf. „Da bedarf es dann eines Fingerspitzengefühls. Manchmal sieht man schon, ob die Leute mies gelaunt sind. Bei denen mit den bunten Haaren muß man lockerer daherkommen“, erzählt Kaschke.
Fingerspitzengefühl hätten sie, davon sind die beiden ehemaligen Kellner überzeugt. Früher seien es die Launen der Gäste gewesen, heute die Launen der Passanten, auf die sie eingehen müßten. Alle Mitarbeiter des Umweltstraßendienstes kommen aus der früheren Ost-Gastronomie. Jetzt, nach der Wende, scheint ihre Gastfreundlichkeit nicht mehr gefragt. Dieter Mann ist seit anderthalb Jahren arbeitslos, Renate Kaschke seit zwei.
„Ich glaub', wir sind alle froh, weil wir eine Arbeit machen können, die Sinn hat“, sagt Kaschke, beäugt verärgert ein Graffiti auf einem AZK (Fachkürzel für Stromkasten der Post) und zückt ihr Notizbuch. Nina Kaden
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen