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■ Auf dem Weltsozialgipfel in Kopenhagen überhäufen die westlichen Regierungen die "regierungsunabhängigen Organisationen" (NGOs) geradezu mit Lobeshymnen. Am liebsten würden sie ihnen die...Wenn der Staat den Löffel abgibt

Auf dem Weltsozialgipfel in Kopenhagen überhäufen die westlichen Regierungen die „regierungsunabhängigen Organisationen“ (NGOs) geradezu mit Lobeshymnen. Am liebsten würden sie ihnen die Entwicklungspolitik ganz überlassen

Wenn der Staat den Löffel abgibt

So bescheiden hat man Regierungsvertreter selten erlebt. Allerorten auf dem Kopenhagener Sozialgipfel betonen sie, was der Staat alles nicht leisten kann und wo er versagt hat. „Wir können nicht auf den Staat hoffen zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit“, erklärte etwa Sozialminister Norbert Blüm, deutscher Delegationsanführer, den Vertretern der deutschen sozial- und entwicklungspolitischen Gruppen. „Wo er's versucht hat, ist es schiefgegangen.“ Zum Glück wissen die Regierungen Abhilfe: Es gibt ja etwas, das all das kann, was der Staat nicht kann – oder nicht können will: die Zivilgesellschaft, insbesondere in Form der regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs).

120mal nehmen das vorbereitete Schlußdokument der Konferenz und das Aktionsprogramm auf NGOs oder die Zivilgesellschaft Bezug, hat die Konferenzzeitung Terra Viva gezählt. Die UNO verteilte ein Faltblatt mit Lobeshymnen auf die NGOs, und in einige Regierungsdelegationen, auch in die deutsche, wurden NGO-Vertreter sogar aufgenommen. Gut 2.400 NGOs sind nach Kopenhagen gekommen; die wenigsten von ihnen haben jedoch Zugang zum offiziellen Gipfel – aus Sicherheitsgründen, wie es heißt. Die UNO gibt ihre offiziellen Dokumente, die Reden und die Entwürfe für die Deklaration nicht heraus an das kilometerweit entfernt stattfindende alternative NGO-Forum. Das hat schon zu erheblichen Spannungen innerhalb der NGO-Szene geführt. Die „ausgesperrten“ Gruppen kritisieren die „zugelassenen“, daß sie sich zu sehr einbinden lassen und den Abstand verlieren. Auch innerhalb des deutschen NGO-Forums, in dem sich vierzig Organisationen zusammengeschlossen haben, kursieren solche Vorwürfe.

In der Tat kann man bei manchen Äußerungen so manchen NGOler kaum noch vom Regierungsvertreter unterscheiden, etwa bei der Frage, ob Schuldenerlaß fallweise entschieden oder pauschal gewährt werden soll. Für die Regierungen und auch die internationalen Organisationen ist es ein leichtes, NGOs zu kooptieren. Viele reiche Länder schleusen einen zunehmenden Anteil der staatlichen Entwicklungshilfe durch NGOs in die „Dritte Welt“ – in der Schweiz sind es fast zwanzig Prozent der Mittel, in den USA elf und in Deutschland 6,5 Prozent. Da dürfte sich eine entwicklungspolitische Organisation, die im wesentlichen mit staatlichen Geldern arbeitet, scharfe Attacken gegen ihren Finanzier gut überlegen.

Doch trotz allen Lobes für die NGOs von seiten der Regierungen – innerhalb des Konferenzzentrums werden die Regierungsdelegationen vor den hochgelobten NGOs (und übrigens auch vor den Journalisten) durch eine Trennwand quer durch das riesige Gebäude abgeschirmt. NGOs ja, aber bitte nicht mitreden.

Da drängt sich der Verdacht auf, daß die Regierenden mit dem schönen Wort Zivilgesellschaft etwas anderes meinen als die Zivilisten. Die NGO-Vertreter freuen sich zwar, daß der Staat ihre Rolle stärker respektiert als früher. „Wir haben derzeit gute Konjunktur“, meint Burkhard Gnärig von Terre des hommes, Mitglied der deutschen Delegation. „Aber es besteht die große Gefahr, daß wir uns in eine Rolle drängen lassen, die wir nicht ausfüllen können.“

Manche Staatsvertreter, aus Nord wie Süd, scheinen zu hoffen, daß die nichtstaatlichen Organisationen gleich die Sozialpolitik für sie erledigen. Staaten geben Verantwortung ab – an private Unternehmen oder private Organisationen, am liebsten in die Hände der Familie. Und wo der Staat Aufgaben nicht nach unten abschieben kann, schiebt er sie nach oben, an die EU oder die UNO – so vor allem in der Umweltpolitik, wo nationale Alleingänge partout nicht möglich sein sollen. Viele Linke, insbesondere libertärer Prägung, müßten nun am Ziel ihrer Träume sein. Der Staat dankt endlich ab. Immer hat man kritisiert, daß der Staat seinen Job schlecht macht. Jetzt sieht er das selbst ein. Dennoch will sich bei niemandem so recht ein Gefühl der Freude einstellen. Vielleicht liegt es daran, daß das Budget der NGOs so lächerlich winzig ist im Vergleich zu den Staatshaushalten. Denn bisher sieht die vielbeschworene Subsidiarität so aus, daß zwar Aufgaben nach unten weitergegeben werden, aber keine zusätzlichen Mittel. Das wurde auf dem Kopenhagener Gipfel noch einmal bestätigt. „Sag ihnen, es darf uns nichts kosten und daß diese alternativen Typen das alles viel besser können als die Regierungen“ – diese Worte legt die Konferenzzeitung dem US- Präsidenten in den Mund, der gerade seine zum Gipfel reisende Frau verabschiedet.

Es drängt sich zudem die Frage auf, inwieweit das Gros der NGOs überhaupt fähig und willens ist, die Aufgaben des Staates zu übernehmen.

Die NGOs haben gar nicht den Anspruch, sich in die Rolle eines Ersatzsstaates hineindrängen zu lassen – flächendeckend könne die Arbeit ohnehin nie sein. Lisa Dacanay von der philippinischen NGO für ländliche Entwicklung, PRRM, sieht ihre Aufgabe auf der einen Seite darin, beispielhafte Programme zu entwickeln und durchzuführen, von denen staatliche Stellen lernen können. Auf der anderen Seite will PRRM bei der Regierung mehr Mitspracherechte bei der Formulierung von Sozial- und Entwicklungspolitik erhalten – aber die Arbeit soll der Staat dann schon selbst erledigen.

Ein ungutes Gefühl, wenn der Staat den NGOs den Vortritt läßt, entsteht vielleicht auch deshalb, weil die Regierungen allzu offensichtlich die Zivilgesellschaft für ihr Entwicklungsparadigma einspannen wollen. Die NGOs sollen dessen schlimmste Folgen mildern. Das eigentliche Anliegen der meisten in Kopenhagen versammelten NGOs ist jedoch vielmehr, genau dieses neoliberale Paradigma zu revidieren. „Auf dem Gipfel werden dieselben Strukturen, die für die soziale Krise verantwortlich sind, als deren Lösung angepriesen“, sagt Peggy Antrobus vom internationalen Frauennetz DAWN. „Wir wollen nicht bloß karitativ tätig sein, wir wollen genau diese Strukturen ändern.“ Dazu wollen die Regierungen die NGOs gerade nicht haben.

Wer auf die Zivilgesellschaft setzt als Zaubermittel gegen soziale Not und Ungerechtigkeit, wird zweifellos sein blaues Wunder erleben. Wenn der Staat den Löffel abgibt, dann wird er nicht in erster Linie durch die Zivilgesellschaft ersetzt, sondern durch die Marktgesellschaft. Und wer im Ringen zwischen sozialen Tugenden auf der einen und enthemmtem Unternehmertum auf der anderen Seite der Schwächere ist, dürfte bekanntsein. Nicola Liebert, Kopenhagen

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