■ Die Arbeitsvermittlung soll privatisiert werden: Auf dem Weg zur Verwaltung der Armut
Das Bundeskabinett will das Monopol der Bundesanstalt für Arbeit bei der Arbeitsvermittlung aufheben. Die Privatisierung soll nicht als Modellversuch in einigen Bundesländern, wie ursprünglich geplant, sondern generell durchgesetzt werden. Faktisch werden dadurch wichtige Grundprinzipien ausgehebelt, die für die öffentliche Arbeitsvermittlung bisher galten. Obwohl es auch hier in den letzten Jahren in der Realität erhebliche Einschränkungen gab, war die öffentliche Arbeitsvermittlung immer noch gehalten, zum Beispiel die Prinzipien zum beruflichen Statusschutz, die Zumutbarkeit von Arbeitsplätzen bzw. -bedingungen und tarifrechtliche Vereinbarungen nicht zu unterlaufen.
Kurz vor Ende der Legislaturperiode soll ein weiterer Schritt zum Ausstieg aus staatlicher Verantwortung festgeschrieben werden. Schon lange liegen die tatsächlichen Zahlen der Arbeitssuchenden und Erwerbslosen erheblich über den offiziell genannten Daten. Doch dieser Situation mit einer Privatisierung der Arbeitsvermittlung begegnen zu wollen spiegelt nichts als die Hilflosigkeit der Regierungsparteien wider.
Durch eine Privatisierung würden Prozesse verstärkt und legalisiert, die schon jetzt offiziell geduldet, aber von vielen zu Recht kritisiert werden. Zum Beispiel lassen größere und finanziell stärkere Unternehmen dann den kleinen Unternehmen qualifizierte Arbeitskräfte abwerben. Dadurch erfolgt eine Verlängerung des Headhunting-Prinzips, bei dem bisher ausschließlich Managementpersonal gegen Provision von anderen Unternehmen abgeworben wurde, auf die Ebene der Fachkräfte. Erwerbslose kämen dann erst ins Spiel, wenn die Mittelstandsbetriebe ihre Lücken, die durch die Abwerbungen auftreten, wieder füllen müssen.
Fraglich ist, wie lange kleinere Unternehmen dies aushalten. Denn schon heute tragen sie auf Umwegen oft die Ausbildungs- und Qualifizierungskosten für die größeren Unternehmen, ohne selbst davon zu profitieren. Bei diesem Prozeß bleiben vor allem kleinere Betriebe einschließlich des verbliebenen Personals auf der Strecke. Daß sich der Personalwechsel zwischen Unternehmen als Schwerpunkt der privaten Vermittlungstätigkeiten herauskristallisieren wird, ist zwangsläufig. Denn durch noch so viele private Jobmaklereien werden keine neuen Stellen geschaffen, außer die der VermittlerInnen.
Bei alledem ist längst klar, daß heute weit mehr als die Hälfte aller Stellen ohne Zutun der Arbeitsämter besetzt werden, weil die Unternehmen nicht zur Meldung ihrer offenen Stellen an die Arbeitsämter verpflichtet sind. Insgesamt wird ein Großteil der Stellen an den Arbeitsämtern vorbei über Stellenanzeigen, gegenseitige Abwerbungen der Unternehmen, Vitamin B und andere Rekrutierungsformen besetzt.
Die Privatisierung der Arbeitsvermittlung läßt auch die Bundesanstalt für Arbeit und die ihr untergeordneten Arbeitsämter nicht unberührt, auch wenn das Vermittlungsmonopol seit Mitte der 80er Jahre schon vielfach relativiert wurde. Seither können private VermittlerInnen tätig werden. Allerdings unter dem Vorbehalt einer Genehmigung durch die Bundesanstalt für Arbeit (was nicht mit Kontrolle gleichzusetzen ist). Darüber hinaus haben Printmedien, Rundfunk- und Fernsehanstalten das Recht, Stellen zu vermitteln. Die wachsende Leiharbeit trägt zu einer weiteren Aushöhlung des Vermittlungsmonopols bei. Bei einer Privatisierung der Vermittlungstätigkeit, steht über kurz oder lang aber auch der ganze Folgebereich des Arbeitsförderungsgesetzes zur Disposition. Wird der Grundbaustein der Arbeitsvermittlung herausgebrochen, ist ein Dominosteineffekt zu erwarten. Die berufliche Qualifizierung kann dann sehr schnell auch privatisiert werden. Chancen haben dann nur noch diejenigen, die eine Qualifizierung vollständig selbst finanzieren können. Davon wäre dann auch der gesamte Bereich der BildungsträgerInnen erfaßt, wodurch neue Arbeitslosigkeit produziert und den bereits Erwerbslosen die Chancen auf einen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zusätzlich verbaut würde. Personen, die in der unmenschlichen Logik des Wirtschaftssystems nicht als vollwertiges Humankapital im Arbeitsprozeß zu gebrauchen und verbrauchen sind, werden noch weiter an den Rand gedrängt, als es schon jetzt der Fall ist.
Daß diese Überlegungen nicht nur reine Theorie sind, zeigt ein Blick in die Geschichte. Bis in die 20er Jahre dieses Jahrhunderts wurde die Arbeitsvermittlung als Gewerbe privat und profitorientiert durchgeführt. Die Gründe, die zur Aufhebung privater Vermittlungsformen führten, sind den Verantwortlichen heute entweder egal oder der „Gnade der späten Geburt“ zum Opfer gefallen. Die damalige Praxis zeigte, daß mit der Not der Arbeitssuchenden gute Geschäfte zu machen waren. Soziale Aspekte spielten keine Rolle, dafür um so mehr parteiliche im Sinne der Religions-, Partei-, Verbands- oder der Geschlechtszugehörigkeit. Um solche Ungerechtigkeiten und Ausgrenzungen kontrollieren zu können und um eine größere Transparenz auf dem Arbeitsmarkt herzustellen, wurde eine öffentliche, einheitliche, unentgeltliche und neutrale Arbeitsvermittlung geschaffen.
Bei einer Abkehr von diesem Prinzip oder, besser gesagt: bei Rückkehr zur privaten Arbeitsvermittlung werden wieder Segmentierungen möglich, welche gruppenspezifische Bevorzugungen oder Aussonderungen, also soziale Selektions- und Verdrängungsprozesse, deutlich schärfer als bisher nach sich ziehen. Letztlich besteht dabei die Gefahr, daß die Arbeitsämter der Erwerbslosigkeit nicht mehr mit Instrumenten der Arbeitsmarktpolitik begegnen können und die Betroffenen dann nur noch verwaltet werden, bis sie in die Sozialhilfe abrutschen oder schon vorher ausgegrenzt wurden. Den Arbeitsämtern wird dann in Entsprechung zu den Sozialämtern sehr schnell eine Stigmatisierung zur Armutsverwaltung aufgedrückt. Von den Betroffenen wird das auch so empfunden werden. Pech für die Erwerbslosen, Glück für diejenigen, die als Arbeitende über eine private Arbeitsvermittlung eine andere Tätigkeit gefunden haben.
Mit der Wiedereinführung alter Praktiken, die aus guten Gründen abgeschafft worden sind, ist der seit Jahren schlechten Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht beizukommen. Vielmehr ist eine grundsätzliche Reform des Arbeits- und Sozialsystems nötig. Sinnvollere Ansätze einer Umstrukturierung, durch die die Risiken nicht immer weiter individualisiert werden, sondern gesellschaftliche Verantwortung ernst genommen wird, gibt es, wie die seit langem geführte Debatte um soziale Grundsicherungssysteme zeigt. Solche strukturellen Änderungsvorschläge als Grundlage für ein dann zu reformierendes Sozialsystem werden jedoch aus kurzsichtigem betriebswirtschaftlichem Denken verworfen, obwohl sie langfristig und volkswirtschaftlich gesehen mehr Sinn machen, als noch bestehende staatliche Zuständigkeiten abzubauen. Heinz-Werner Göbel,
Politologe
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