■ Auf dem Göttinger Schützenfest: Mit Reemtsma in der Wilden Maus
Am vorvergangenen Wochenende, auf dem Schützenfest in Göttingen, sah ich im Bierzelt Jan Philipp Reemtsma sitzen, teilnahmslos und einsam und allein an einem Tisch im Hintergrund.
Vorne spielte eine Country- Band, zwischen den Tischreihen wurde ausgelassen getanzt, und das Bierzelt bebte. Um Herrn Reemtsma aufzumuntern, gab ich ihm ein Bier aus.
„Der Keller bleibt in meinem Leben“, sagte er mürrisch und schob das Bier von sich weg. „Im Keller hatten die Gefühle des Nicht-mehr-in-der-Welt-Seins ihren Ort. In der Welt haben sie keinen.“
„Doch“, erwiderte ich. „In der Wilden Maus!“ Die Wilde Maus war die größte Attraktion des Schützenfestes, eine himmelhohe Achterbahn mit brisanten Kurven und Passagen von beachtlichem Gefälle.
Herr Reemtsma sah nicht einmal auf. „Mit diesen Gefühlen bin ich nur im Keller zu Hause gewesen“, brummelte er.
„Kommen Sie“, sagte ich. „Die Wilde Maus wird Sie auf andere Gedanken bringen. Ich lade Sie ein!“
Er sträubte und zierte sich, aber schließlich gab er seinen Widerstand auf. Wenig später saßen wir im Mauswagen, der Hüftbügel rastete ein, die Maus bewegte sich auf ihren Geleisen aufwärts, und dann karriolten wir kreischend über den halsbrecherischen Parcours. Von unten sahen die Kurven gar nicht so gefährlich aus, aber uns Mausinsassen ging die Muffe eins zu tausend. Es war eine Wucht.
Mit wackligen Knien stiegen wir aus.
„So ist das also“, rief Herr Reemtsma. „So ist das!“ Er steuerte erneut das Kassenhäuschen an. „Ich glaube, ich möchte noch einmal in die Wilde Maus! Haben Sie noch Kleingeld?“
Als der Fahrbetrieb gegen Mitternacht eingestellt wurde, hatte ich Herrn Reemtsma insgesamt dreißig Fahrten mit der Wilden Maus spendiert. Er hatte sich heiser geschrien vor Vergnügen, und es ging ihm sichtlich besser.
Da habe ich der Menschheit doch wieder einmal einen Dienst erwiesen, dachte ich. Zum Abschied klopfte mir Herr Reemtsma auf die Schulter und gestand mir, daß er gar nicht Herr Reemtsma sei, sondern ihm nur zufällig ein bißchen ähnlich sehe. Diese Laune von Mutter Natur mache er sich zunutze, um sich auf Schützenfesten in allen Regionen Deutschlands Fahrten in der Wilden Maus zusammenzuschnorren. „Ich verrate Ihnen das nur, damit nachher nicht in der Zeitung steht, Sie hätten mit Jan Philipp Reemtsma in der Wilden Maus gesessen“, erklärte er und verschwand höhnisch lachend in der Dunkelheit.
Hat man sowas schon gehört? Gerhard Henschel
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