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Auf Syd Barrett hören

Eine Soundinstallation von Stefan Römer als lange Meditation über den Ton A, dieses Wochenende im Haus der Statistik

Von Sophie Jung

Man solle ein kleines, fast unsichtbares Loch in die Mitte einer Leinwand bohren und dann den Raum dadurch anschauen. Das ist dann das „Painting to See the Room“. 1961, Yoko Ono.

Das Resultat eines von Yoko Onos „Instruction Paintings“ war zwar ein Objekt der Bildenden Kunst, doch sein Ursprung lag in einer Anweisung, einer Notation. Was, so die große Frage dieser aufs Geistige runtergebrochenen Arbeiten einer frühen Konzeptkunst, ist denn eigentlich das originale Kunstwerk, der notierte Gedanke etwa?

Original und Fake der Notation, ihre Aneignung, Tradierung und Umkehrung verarbeitet der Künstler und Autor Stefan Römer gerade in einer betörend dronigen Soundinstallation im Haus der Statistik. Bei einer vorherigen Performance, die mitten in der Pandemie leider publikumslos stattfinden musste, machte auch Römer eine ähnlich reduzierte Anweisung an die vier Musikerinnen Ale Hop, Cosey Müller, John Miller, Wendelin Büchler: „Four guitarists strike only the A string, amplified and reverberating from the four corners of the space. Duration: 23 min“, wies er unter anderem an. Doch zwischen den gleichfalls minimalen Scores der frühen Konzeptkunst und der Soundperformance von Stefan Römer liegt ein ganzer Prozess des Zitierens, Aneignens, Verzerrens, ja: Verwurstens, geradezu körperlichen Übersetzens der eigentlich hoch vergeistigten Notation.

Römer betreibt bei dieser Soundinstallation ein humorvolles Spiel mit der Idee eines geistigen Originals, das mit einer Passage des Literaturwissenschaftlers Friedrich Kittler beginnt. Dieser schrieb 1984 zum Pink Floyd-Gitarristen: „Bei Syd Barretts letzten Auftritten, wenn sie nicht überhaupt ausfallen, hängt die Griffhand herum, während die rechte ohne Ende ein und dieselbe Leersaite anschlägt: Monotonie, wie in der chinesischen Foltertechnik, als Anfang und Ende von Musik. Dann verschwindet der Mann, der Pink Floyd erfunden hat, von allen Bühnen, irgendwo im diagnostischen Niemandsland zwischen LSD-Psychose und Schizophrenie.“

Diese anekdotische Beobachtung – wobei nicht klar ist, ob Friedrich Kittler bei den Pink-Floyd-Konzerten tatsächlich anwesend war oder er selber nur die Berichte anderer übersetzte – eignete sich Römer für eine Performance beim CTM-Festival 2018 als Aufführanweisung an. Er selbst performte also, unter Einfluss einer halluzinogenen Substanz, den besagten Auftritt von Syd Barrett (man kann die CTM-Performance auf Youtube verfolgen), womit Römer nicht nur das elementar-konzeptuelle Score durch ein aufwallendes Zitat unterwanderte, sondern auch gleich den popgeschichtlichen Mythos des genial grenzensprengenden Rockmusikers auf der Bühne zu einer 20-minütigen Klangmeditation um den Ton A herunterbrach.

Seither, könnte man sagen, ist Stefan Römer auf dem A-Trip. Und seine Soundinstallation im Haus der Statistik, die im Rahmen des Förderprogramms künstlerische Forschung entstanden ist, lässt sich auch ohne Wissen um die ganze konzeptuelle Apparatur des Notierens, Zitierens und Dekonstruierens anhören, nämlich als 23-minütiger Drone-Trip. Wie hier das A gleich vier Mal aus den Boxen schwingt, sich mal im Slap von dem Grundrauschen löst, mal in den gleichen rhythmischen Strom fließt oder ganz im Blur der Überkoppelung verschwindet, ist eine tief dröhnende Raumerfahrung. Man versucht einen einzelnen Ton zu hören und wandert an den rohen Wänden vorbei, die vier Ecken eines entkernten Raumes entlang, in dem einst Zahlen und Daten verarbeitet wurden und in dem nun die Frequenzen des immer gleichen As am Gerippe der Betonarchitektur widerhallen. Vielleicht bleibt man einfach stehen, berauscht von Beton und Ton, während draußen durch die großen Fenster die Stadt wie auf einer Leinwand vorbeizieht.

Stefan Römer: Decon Sound, Haus der Statistik, Samstag und Sonntag, 14-20 Uhr.

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