Auf St. Pauli formiert sich Widerstand: Wenn es Kaviar regnet
St. Pauli ist auch nicht mehr das, was es mal war: Luxushotels und Neubauprojekte haben die Mieten in die Höhe getrieben. Dagegen demonstrierte am Wochenende eine bunte Gegenbewegung.
Regentropfen fließen die sieben Meter hohe Panoramascheiben hinunter. Am Horizont versinkt die Sonne zwischen den Wolken in der Elbe. Nur ein leichtes rotes Flackern irgendwo da unten im Lichtermeer der Straßen stört die Vollkommenheit im 20. Stockwerk des Hotels Empire Riverside. Denn es ist das Flackern des Widerstands gegen das Hotel und alles, was es verkörpert.
Das Empire Riverside Hotel wurde vor zwei Jahren im Rahmen eines Neubauprojekts mitten auf St. Pauli errichtet. Wie eine Festung steht es nun da, ein Bollwerk der vermeintlichen Zukunft des Stadtteils in der reichen Freien und Hansestadt Hamburg. Mit seiner zentralen Lage ist auch St. Pauli nicht mehr sicher vor Investoren, die glaubten, sie könnten den Stadtteil durch Neubebauung und soziale Umstrukturierung für ihre Klientel interessant werden lassen. Die Zahlen scheinen ihnen Recht zu geben: 1994 kostete eine Wohnung auf St. Pauli durchschnittlich 7,70 Euro pro Quadratmeter, 2008 waren es bereits 11,40 Euro.
Und das Flackern - das ist die Gegenbewegung dazu. Dicht drängen sich Menschen vor der kleinen Bühne. Barbecue statt BNQ heißt das Motto des Straßenfests in der Bernhard-Nocht-Straße, wo in Kürze das Bernhard Nocht Quartier (BNQ) entstehen soll. Sollte das Neubauprojekt umgesetzt werden, müssten viele der alten Häuser weichen, und den Mietern - nicht wenige von ihnen Harz-IV-Empfänger - droht Vertreibung.
Doch diesmal will kaum jemand mehr tatenlos zusehen. Trotz des Regens quoll die Bernhard-Nocht-Straße am Wochenende über. Auf zwei Bühnen traten Bands auf, dazwischen zahlreiche Stände und eine Hüpfburg. Irgendwo machten polnische Punker ein kleines Lagerfeuer, eine Gruppe Jugendlicher verkaufte Würstchen aus einem mobilen Grill, hergestellt aus einem alten Einkaufswagen. Und vorm Onkel Otto an den Hafentreppen, einst das Zentrum der Hamburger Hausbesetzerszene, schwelgte man in Erinnerungen.
Aufgerüttelt durch einen Film, der seit Monaten Umlauf im Viertel hat, bewegt sich wieder etwas rund um die Reeperbahn. "Empire St. Pauli" zeigte seinen Bewohnern nüchtern, aber humorvoll, was da eigentlich gerade geschieht mit ihrem Stadtteil - und nun herrscht Aufbruchstimmung. Rund 30 verschiedene Gruppen haben sich zusammengeschlossen, um das neue Quartier zu verhindern. Darunter das Anti-Gentrifizierungs-Netzwerk "Es regnet Kaviar", die hedonistische Internationale und der Fanklub des FC St. Pauli.
Doch von hier oben, 90 Meter über dem Elbfluss, ist all das nur ein schwaches rotes Flackern.
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