Auf Du und Du mit den Hürden dieser Stadt: Nicht länger auf der Strecke bleiben
■ Der neue Bremen-Stadtführer für behinderte Menschen ist erschienen
Ohne Schwelle hat Petra Poggenhorn das Cafe Engel im Ostertorsteinweg erreicht. Nach verspeistem Kaffee und Kuchen drängt es die Rollstuhlfahrerin auf die Toilette – weit kommt sie nicht. Eine steile Kellertreppe versperrt den Weg. Rund 7.000 Rollifahrer und etwa 50.000 behinderte Menschen sind täglich in Bremen unterwegs. Damit sie nicht auf der Strecke bleiben, ist jetzt die dritte Auflage des „Stadtführers für behinderte Menschen“ erschienen.
Zwei Jahre lang hat Rollstuhlfahrerin Poggenhorn gemeinsam mit Gerd Schultz 1400 Einrichtungen wie Cafes, Hotels aber auch öffentliche Gebäude und Sportstätten im Selbsttest unter die Lupe genommen – im Auftrag der Landesarbeitsgemeinschaft „Hilfe für Behinderte“ (LAG), die den Führer erstmalig 1980 auf die Beine stellte. Seit der zweiten Auflage 1989 sind sieben Jahre vergangen – seitdem sei vieles behindertenfreundlicher geworden, lobt die LAG. Das diesjährige Motto lautet deshalb: „ Allein mobil sein“ und in dem 500 Seiten starken Führer finden sich deshalb viele Einrichtungen, die ohne fremde Hilfe erreicht werden können.
Positiv schneidet vor vor allem die Bremer Straßenbahn AG (BSAG) ab: Heute sind 45 der insgesamt 78 Straßenbahnen und 128 der 156 Busse Niederflurfahrzeuge. „Man kann problemlos von Westen nach Osten fahren“, lobt Prüfer Schultz. So beweglich die BSAG geworden ist, so mau sieht es jedoch noch in vielen Kinos aus: Nur das Kino 46 hat ein Behinderten-WC, vor dem UT-Center bauen sich vier Stufen am Eingang auf: „Irgendwie kommt man hinein. Aber der Zugang für Behinderte ist einfach viel zu schlecht gekennzeichnet“, kritisiert Petra Zornhagen von der LAG.
Bei den Gaststätten habe sich ebenfalls einiges getan: immerhin hat der Führer jetzt 30 Prozent mehr Cafes und Restaurants auf der Liste, in die Rollstuhlfahrer und behinderte Menschen alleine einkehren können. Doch der Gang aufs Örtchen erweist sich immer noch als schwierig: Von den 17 besuchten Cafes haben nur sieben eine Toilette vorzuweisen, die auch für Rollifahrer gut zugänglich ist.
Daß die Landesbauordnung behindertengerechtes Bauen nicht als Vorschrift verankert hat, ärgert jedoch die LAG. Um zum Beispiel das frischgebaute Sportstadion in der Sperberstraße zu betreten, müßte man „eine Deichhöhe erklimmen“, so Prüfer Schultz. „Die Behinderten wurden einfach vergessen“. Diese Kritik weist Hans-Christoph Hoppensack vom Sozialressort zurück, dessen Behörde den Führer mit 45.000 Mark unterstützt hat. „Das sind Ausrutscher, um die wir uns kümmern müssen“, kontert er: Wenn öffentliche Gebäude neu gebaut würden, stehe die Behindertenfreundlichkeit ganz oben. Hoppensack sieht vielmehr ein Problem in alten Gebäuden: Im Rathaus müsse man eine Behindertentoilette vergeblich suchen.
kat
Der Stadtführer ist gegen eine Schutzgebühr von 3,60 Mark bei der LAG, Waller Heerstraße 55 zu haben.
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