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Auf Du und Du mit dem AquariumRecyclingsystem Rotes Meer

■ Internationale Meeresforscher vom Roten Meer tagen in Bremen

Ein riesiges Aquarium mit schillernden Korallen. Die Umgebung: Ein karg möblierter, lichtdurchfluteter Raum mit streitenden Menschengruppen – ein paar armselige Pflanzenkübel. Bilder im Genre eines Hockneyschen Fotorealismus treten vor das innere Auge; doch nicht die amerikanische Middleclass ist das Objekt der 60 internationalen Meeresforscher, die gestern im Bremer Max-Planck-Institut ihre dritte Generalversammlung eröffneten. Das Aquarium, das sie im Rahmen ihres „Roten Meer Programms“erforschen, ist der korallengesäumte Golf von Akabar. Der aber ist nicht nur berühmt für seinen hohen Salzgehalt, sondern auch für seine extreme Armut. „Kaum Nährstoffe – viel Licht!“faßte gestern Erwin Neher, Biophysiker aus Göttingen und Medizin-Nobelpreisträger, die Umweltbedingungen des Golf-Systems zusammen: „Ganz umgeben von Wüsten gibt es hier kaum Einträge aus Flüssen oder menschlichen Ansiedlungen.“Das Leben, das sich in den vergangenen Jahrtausenden unter der Meeresoberfläche entwickelte, sei durch die Kämpfe ums tägliche Kalziumkarbonat bestimmt.

Das sieht zu Lande nicht anders aus. Deshalb sei das Forschungsprojekt „Rotes Meer“mit seinem interdisziplinären Kollegium aus Ägypten, Israel, Jordanien, Palästina und Deutschland denn auch nicht zuletzt ein Friedensprojekt, ergänzt der Koordinator des Ganzen, Gottfried Hempel vom Bremer Zentrum für maritime Tropenökologie. Für Bernd Neumann, Bremens CDU-Chef und Staatssekretär beim Bundesforschungsministerium, ist das denn auch „eine wesentliche Begründung“für die Unterstützung des Projektes mit 2 Millionen Mark Steuergeldern im Jahr.

Die Bewältigung der „Extremsituation“im Biosystem hingegen bewältigen die rund 200 Geowissenschaftler, Meeresbiologen und Neurophysiologen (sic!) mit Ultraschallgeräten, Sonden und Bohrern. So unterschiedlich wie ihre Forschungsschwerpunkte sind ihre Ergebnisse aus drei Jahren Arbeit. Denn: Was, bitte schön, hat ein Neurophysiologe im Roten Meer zu suchen. Gift, ist die Antwort für Micha Spira von der Hebräischen Universität, Jerusalem, der als „Leftist“gemeinsam mit seinem friedensbewegten Kollegen Neher das Projekt angeleiert hatte. Die Nervenforscher fanden zwischen den Korallen Schneckenarten, die in ihrem Überlebenskampf „bioaktive Mittel“entwickelten, mit denen sie sich gegenseitig bekämpfen. Biowaffen, die stark genug sind, um auch das menschliche Nervensystem lahmzulegen, sagt der Biophysiker Erwin Neher: „Die amerikanische Pharmaindustrie wird im nächsten Jahr mit dem von uns entdeckten Gift ein Mittel auf den Markt bringen, das auch bei unstillbaren Schmerzen lindernd wirkt.“

Die Bremer Tropenökologen hingegen, die an dem Forschungsunternehmen maßgeblich beteiligt sind, erleben die Korallenlandschaft an der Küste des Golfs von Akabar als einen „ungeheuer blühenden Lebensraum in der Wüste“, schwärmt Gotthilf Hempel. Mit ihren Sonden vertiefen sie sich in die Eingeweide der bizarren Landschaft und finden da Substanzen, die auch dem Unterwasseranstrich von Schiffen noch Festigkeit verleihen könnten. Kein ganz unwichtiger Fund für Bremens TBT-verseuchte Häfen.

Einig war man sich gestern in der Bewunderung für die Korallen: „Ein höchst effizientes System des Recycling“, faßte der Biologe Claudio Richter seine Verblüffung über die ökologischen Kräfte der Natur im Golf von Akabar zusammen. ritz

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