piwik no script img

■ Auch staatliche Schulen sind in den meisten Ländern nicht neutralBildung in „Säulen“

Bis zur Französischen Revolution war Bildung in Westeuropa eine Aufgabe der Kirche. Auch als der Staat diese Aufgabe übernahm, mußte er in den meisten Ländern einen gewissen Einfluß der Kirche auf das Curriculum akzeptieren. Auch staatliche Schulen sind deshalb in den meisten Staaten – eine Ausnahme ist Frankreich – nicht neutral. In den Niederlanden hat die Konkurrenz zwischen Protestanten und Katholiken dazu geführt, daß konfessionelle Schulen auch finanziell gleichberechtigt neben staatlichen Schulen existieren. Wie die gesamte niederländische Gesellschaft, ist auch das Schulsystem in sogenannten „Säulen“ organisiert. Obwohl die „Versäulung“ in den vergangenen Jahren rapide abnimmt, ist sie in den Schulen immer noch gegenwärtig: nur 38 Prozent aller Schüler besuchen staatliche, hingegen 33 Prozent katholische sowie 29 Prozent protestantische Schulen.

Von den 15 Millionen Einwohnern der Niederlande sind 425.000 muslimischen Glaubens. Etwa 80.000 muslimische Kinder besuchen niederländische Grundschulen. Bisher bevorzugte die Mehrheit ihrer Familien (53 Prozent) staatliche Schulen. Seit 1988 allerdings verfügt das Schulsystem über eine weitere Säule: An 26 islamischen Grundschulen werden inzwischen 3.405 Schüler (unter ihnen sind 55 Prozent marokkanischer und 37 Prozent türkischer Herkunft) unterrichtet.

Die Gründung islamischer Schulen in den Niederlanden ist nicht unbemerkt verlaufen. Widerstand regte sich vor allem in liberalen und sozialdemokratischen Kreisen. Einige Gemeinderäte wollten sich der Errichtung widersetzen, andere willigten nur widerwillig ein. Aber – die niederländische Verfassung kennt Religionsfreiheit ebenso wie Bildungsfreiheit. Folglich muß auch Muslimen zugestanden werden, eigene Schulen zu gründen. Und: Neben der legalen Grundlage hat die Herausbildung muslimischer Unterweisung auch andere Ursachen: insbesondere in den Städten bilden sich immer mehr sogenannte „schwarze Schulen“ mit einem Anteil muslimischer Schüler von bis zu 90 Prozent heraus, weil „weiße“ Eltern ihre Kinder von der Schule nehmen, wenn der Anteil ausländischer Mitschüler einen bestimmten Level erreicht.

Eine weitere Ursache für den Bedarf an muslimischen Schulen ist auch, daß 47 Prozent der muslimischen Kinder in staatlichen Schulen christlichem Religionsunterricht ausgesetzt sind, während die Möglichkeit islamischen Religionsunterrichts dort nicht besteht. Muslimische Schulen führen weder zur Absonderung, noch sind sie fundamentalistisch orientiert. Schließlich unterliegen auch sie dem landesweiten Lehrplan und staatlicher Kontrolle. Auf lange Sicht werden muslimische Schulen dazu dienen, die Emanzipation der Muslime zu stärken. Katholische Schulen hatten einmal dieselbe Funktion. Kees Wagtendonk

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen