piwik no script img

berliner szenenAuch diese Küche war sehr schön

Ich besichtige mal wieder eine Wohnung. Diesmal in Charlottenburg. 3. OG, zwei Zimmer, eine Küche mit Balkon zum Hof hinaus. Ich mag das sehr, wenn der Balkon an der Küche liegt.

Als ich in die Straße einbiege, sehe ich schon von Weitem eine große Menschentraube vor der Tür. Ich stelle mich dazu und blicke mich um. Irgendwie habe ich mit so einer Massenbesichtigung nicht gerechnet. Um mich herum schicke Menschen, manche reden miteinander. Sie kommen vielleicht direkt aus dem Büro.

Der Drücker summt, und die Masse setzt sich in Bewegung. Ich nehme meine Kopfhörer ab. Oben an der Tür ein Mann und eine Frau, die auch schick aussehen. Sie strahlen alle einzeln an. „Hi, schön, dass das geklappt hat. Geh gern durch.“ Als ich über die Schwelle trete, sage ich: „Hi, freut mich auch.“ Die Frau im schwarzen Glitzerdress lächelt, aber ich merke, dass etwas in ihrem Gesicht erstarrt. Vielleicht, weil ich Jeans und T-Shirt trage? Gibt es jetzt etwa Dresscodes zur Besichtigung? Ich gehe als Erstes in die Küche, weil die anderen sich offenbar das Wohnzimmer ansehen. Die Küche ist schön. Viel geräumiger als auf den Bildern. Und sie ist möbliert. Davon wusste ich nichts. Ich gehe ans Fenster. Einen Balkon gibt es hier aber nicht.

Da betritt die Vormieterin die Küche: „Entschuldige, aber bist du neu?“ Neu? Ich runzele die Stirn und sage: „Also, ich hatte mit Frau S. gemailt, aber vielleicht wurden die Adressen vertauscht?“ Die Frau sieht mich ratlos an, bis ich sage: „Die Wohnung sah bei Immoscout ganz anders aus. Da war ein Balkon an der Küche, der zum Hof hinausging.“ Die Frau fängt an zu lachen. Und dann wird klar, dass ich in eine Chorprobe außer der Reihe geplatzt bin und meine Wohnungsbesichtigung drei Häuser weiter stattfindet. Aber die Küche war wirklich auch sehr schön. Isobel Markus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen