Auch Deutschland verzögert Ratifizierungsprozess: Köhler lässt Lissabon noch liegen
Einer Bitte des Bundesverfassungsgerichts folgend wartet Präsident Köhler die Klagen gegen den EU-Vertrag ab.
FREIBURG taz Bundespräsident Horst Köhler wird den EU-Vertrag von Lissabon vorerst nicht unterzeichnen. Damit entspricht er einer Bitte des Bundesverfassungsgerichts, das darum ersucht hatte, seine Entscheidung über anhängige Verfassungsklagen abzuwarten.
Bundestag und Bundesrat haben dem Vertrag bereits im Mai mit großen Mehrheiten zugestimmt. Gegen den Vertrag liegen allerdings bereits neun Verfassungsklagen vor. Die bekanntesten Kläger sind der CSU-Politiker Peter Gauweiler und die Linksfraktion im Bundestag. Sie sehen die Souveränität Deutschlands oder das Demokratieprinzip bedroht.
Die Kläger haben mit Eilanträgen das Gericht auch dazu aufgefordert, Bundespräsident Horst Köhler an der Unterschrift zu hindern. In diesem Eilverfahren wurde Köhler zunächst nur formal um eine Stellungnahme bis Ende Juni gebeten. In der vorigen Woche rief der neue Vizepräsident des Gerichts, Andreas Voßkuhle, in Berlin an und bat Köhler ausdrücklich darum, vor Abschluss des Verfahrens "keine völkerrechtlichen Bindungen einzugehen".
Die Erklärung Köhlers kommt nicht überraschend. Es war ohnehin erwartet worden, dass er den Vertrag nicht unterschreibt, solange das Bundesverfassungsgerichts über die Klagen berät. Auch bei früheren EU-Verträgen wurde die Ratifizierung so lange aufgehalten, bis das Verfassungsgericht über Klagen entschieden hatte.
Inhaltlich hat Köhler mit der Ankündigung von Montagnachmittag alles offengelassen. Weder hat er damit eigene Zweifel angedeutet noch seine Unterschrift ausgeschlossen. Der Vorgang ist also nicht mit den zwei Fällen zu vergleichen, als Köhler deutsche Gesetze nicht unterzeichnete. Ende 2006 stoppte der Bundespräsident Ende 2006 erst die Privatisierung der Flugsicherung und erzwang dann eine Nachbesserung beim Verbraucherinformationsgesetz.
So wie es aussieht, wird die verfassungsgerichtliche Prüfung keinen großen Zeitverzug bringen. Denn das Gericht hat den Beteiligten erstaunlich kurze Fristen gesetzt. Schon bis Ende Juli sollen Bundesregierung und Bundestag Stellung nehmen. Ob es eine mündliche Verhandlung gibt, ist noch offen.
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