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Attentat erneuert alte Fronten

Der Mord an dem Bank-Chef hat die Verunsicherung auf beiden Seiten der Barrikade brutal beendet / Die künftige Rolle der Gefangenen und ihr Verhältnis zu den versprengten RAF-Kommandos ist völlig ungeklärt  ■  Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Nun haben sie es wieder alle vorher gewußt und besser: die aufrechten Kämpfer gegen jedes „Zurückweichen vor dem Terrorismus“, die politischen Hardliner in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen und ihre publizistischen Parteigänger, denen im Frühjahr nach dem äußeren auch noch der innere Feind zu entschwinden drohte. Grenzenlose Naivität wird jenen vorgeworfen, die während des RAF-Hungerstreiks in der ersten Jahreshälfte auf vermeintliche Schalmeientöne aus den Hochsicherheitstrakten hereingefallen seien und täglich darauf warteten, daß im siebten Stock in Stammheim die weiße Fahne gehißt wird.

Im Vertrauen auf das kurze Gedächtnis der Öffentlichkeit wird die allerjüngste Geschichte der Auseinandersetzung solange verbogen, bis sie paßt. Es habe sich gezeigt, „daß den Terroristen ihre Aggressivität mit humanitären Zugeständnissen nicht abzukaufen ist“, weiß die 'Frankfurter Allgemeine Zeitung‘. Und die 'Welt‘ will abgeklopft wissen, „ob die Zusammenlegung von hungerstreikenden RAF-Häftlingen dazu führt, daß sogenannte Interaktionsgruppen auch externe Aktionen anleiten können“. Ganz so, als sei die Zusammenlegungsforderung längst erfüllt und der Mordanschlag auf Herrhausen Ergebnis des Zurückweichens des Staates.

Tatsächlich war die letztlich gescheiterte Hungerstreikaktion mit dem Ende der Fastentortur am 12. Mai nicht beendet. Die wirklichen Demütigungen der Gefangenen liefen unter Ausschluß der Öffentlichkeit nach dem Streik. Über Verlegungen einzelner Inhaftierter, die nach außen als schlichte Erfüllung des Verteilerschlüssels der Gefangenen auf die Bundesländer hätten verkauft werden können, sollte die Isolation schrittweise ähnlich gelockert werden wie in den SPD-regierten Ländern Schleswig-Holstein oder NRW, wo Kleingruppen eingerichtet wurden bzw. Gefangene aus der militanten Szene unter Normalvollzugsbedingungen auch untereinander Kontakt haben. Von einer „Männergruppe“ in Berlin war intern immer wieder die Rede. Dieser Plan, der vom Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Martin Kruse, unterstützt wurde, scheiterte an der Haltung der unionsregierten Länder. Sämtliche Verlegungsanträge wurden abgelehnt. Statt dessen verschärften sich die isolierenden Haftbedingungen für manche Gefangene nach dem Hungerstreik. Die während der Aktion zugestandenen verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten zwischen ihnen wurden mit dem Tag des Streikabbruchs ausgesetzt. Briefe aus der Linken, in denen die Diskussionsbereitschaft der Gefangenen - „Wir wollen an der gesamten Diskussion teilnehmen“ - beim Wort genommen werden sollte, blieben in der Postkontrolle hängen. Der Versuch, schrittweise die Rahmenbedingungen für den „gesellschaftlichen Dialog“ zu schaffen, hat bis heute zu keinerlei konkreten Ergebnissen geführt.

Sowenig ein direkter Zusammenhang zwischen Helmut Pohls Brief von Ende Oktober (s. taz vom 2.12.) mit dem Herrhausen -Mord zu konstruieren ist, so deutlich unterscheidet er sich doch von den ersten Wortmeldungen der Gefangenen Eva Haule, Karl-Heinz Dellwo oder Christian Klar nach dem 12. Mai, die wie schon während des Hungerstreiks weiter die Zäsur in der Geschichte der RAF bzw. der Gefangenen betonten. Pohls Schreiben, das erst nach dem Attentat in Bad Homburg als Anweisung, wieder loszuschlagen, interpretiert wurde, ist ein Dokument der Verbitterung. Die Rückkehr zu alten Parolen wird ohne jeden Zweifel als Konsequenz aus den Erfahrungen mit dem „Staatsapparat“ während und vor allem nach dem Hungerstreik gekennzeichnet.

Während die Law-and-order-Politiker ihr Weltbild nach dem Anschlag gefestigt sehen, ist auch auf der anderen Seite der Barrikade, in den ausgedünnten Reihen der Militanten außerhalb der Knäste, ein Aufatmen nicht zu überhören. Die Phase der Verunsicherung scheint vorbei, die Zeit der klammheimlichen Freude wieder da. Der erste Mann der deutschen Wirtschaft: immerhin. Und so perfekt gemacht. Analysen der Deutschen Bank müssen her - als wenn da ausgerechnet jetzt Neues zu entdecken wäre. Auch wer politischen Mord „eigentlich“ ablehnt, soll doch in seinem vagen Wissen gefestigt werden, daß es da „den Richtigen“ getroffen hat. „Nein, ich selbst würde nie jemanden umbringen.“ Natürlich nicht - aber über die, die das in Bad Homburg stellvertretend erledigt haben, kann man seine Krokodilstränen ja immer noch vergießen, wenn sie für immer in den Trakten verschwinden. Dann machen wir Soli-Arbeit.

Unter einem einzigen Gesichtspunkt war das Attentat gegen Alfred Herrhausen also ausgesprochen „erfolgreich“: Es hat Fronten begradigt, die der letzte Hungerstreik erheblich aufgeweicht hatte. Der anachronistischen Tat folgt eine Erneuerung der anachronistischen Frontstellung. Wenn sich die aktuelle Empörung gelegt haben wird, wird der Krieg weitergehen. Aber es ist längst nicht mehr Heinrich Bölls Krieg der Sechs gegen die sechzig Millionen. Es ist der Krieg der Sechs gegen die 2.000 im staatlichen Sicherheitsapparat, die sie jagen. Die Menschen und auch die Medien gehen nach Ablauf der pflichtgemäßen Empörungsphase über den brutalen Mord heute schneller als früher zu jener Tagesordnung über, die beinahe täglich mehr bietet als faktisch längst entschiedene Schlachten von gestern.

Bleibt die Frage: Was wäre gewesen wenn? Was wäre gewesen, wenn der Hungerstreik erfolgreich gewesen wäre, der „gesellschaftliche Dialog“ aufgenommen worden wäre? „Solange verhandelt wird“, sagt einer, der sich in der Geschichte der RAF auskennt wie kaum ein zweiter, „solange verhandelt wird, wird nicht geschossen - das ist hier nicht anders als in El Salvador“. Oder was wäre gewesen, wenn Helmut Pohl - allein oder namens der Gefangenen - tatsächlich, wie viele es hofften, das Konzept des „bewaffneten Kampfs“ auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen hätte. Vielleicht würde Herrhausen auch dann heute noch leben. Wenigstens jedoch wüßte man, wie groß die Autorität der Gefangenen gegenüber den Desperados außerhalb der Knäste noch reicht.

Ein Ergebnis des Attentats scheint jedoch angesichts der makabren Perfektion des Anschlags jenseits aller möglichen „Pannen“ bei der Fahndung so eindeutig wie nie: Politisch begründete Morde sind (wie andere Morde auch) in der Bundesrepublik (wie in jedem anderen demokratischen, sozialistischen oder totalitär regiertem Staat) nicht zu verhindern. „Militärisch“ ist die RAF nicht zu besiegen, selbst oder gerade dann, wenn sie nur noch aus einer Handvoll wechselnder Personen besteht. Es gibt zum Dialog keine Alternative.

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