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Attacke von unten

Subversiver Glamour: Ob bei Altman, Ferrara oder Kusturica – die amerikanische Schauspielerin Lili Taylor verkörpert am liebsten den Underdog mit Durchblick

Lili Taylor wird nicht als Schauspielerin eingesetzt, sie setzt sich selbst ein. Für Figuren zwischen Angst und Aggression, für wunderliche Gestalten und Außenseiterinnen, denen sie subversiven Glamour verleiht. Grundbewegung ihrer Rollen ist die Atttacke von unten – einmal, weil sie immer wieder Underdogs spielt, die sich wehren. Aber auch weil Lili Taylor eine kleine Schauspielerin ist. Und diese Größe bestimmt den Winkel eines Blickes, mit dem sie ihre Gegenüber nicht nur im Film immer wieder erobert.

In ihrer allerersten Filmszene zieht sich Lili Taylor noch aus der Affäre und fällt vor dem Traualtar in Ohnmacht. In „Mystic Pizza“ spielt sie neben Julia Roberts die Pizzakellnerin Josephine, eine charmante Schlampe, die mit derben Sprüchen und ihrer Heiratsphobie ein erzkatholisches Fischerkaff auf Trab bringt. Da ist er schon, der typisch taylorsche Underdog mit Durchblick, der sich nicht unterkriegen lässt. In Jim Mc Kays „Girlstown“ versinkt sie als allein erzeihende Mutter in überdimensionalen Latzhosen und schlägt sich mit Geldsorgen und Schulproblemen herum. In Robert Altmans „Short Cuts“ hat sie noch weniger Kohle, wirft aber ein treusorgendes Auge auf ihre Alkoholiker-Mama (Lily Tomlin).

Egal welchen Gang Lili Taylor einlegt, immer bewegen sich ihre Figuren mit einer geheimnisvollen Zielstrebigkeit durchs Leben. In Emir Kusturicas „Arizona Dream“ haust sie als neurotisches Dornröschen mitten in der Wüste und wacht wiederum über ihre – diesmal nymphomanische – Mutter (Faye Dunaway). Ein Leben voller Ticks und hysterischer Auseinandersetzungen. Extremer Outcast mit Prinzipien ist sie auch in Abel Ferraras durchgedrehtem Vampirfilm „The Addiction“ als langsam vor sich hinbröckelnde Vampirin, die zu viel Heidegger gelesen hat.

Das Drehbuch von „I shot Andy Warhol“, Mary Harrons Film über die Warhol-Attentäterin Valerie Solanas, wimmelt nur so von Hardcore-feministischen Platitüden. Aber Lili Taylor unterwandert mit aggressiver Verzweiflung das Bild der neurotischen, von zerstörerischen Theorien besessenen Männerhasserin. Einer ihrer Parademomente ist der Auftritt in einer Talkshow, bei dem sich Solanas ganz langsam hochschaukelt und den reaktionären Interviewer schließlich eine „Schleimratte“ nennt.

In Isabel Coixets Film „Things I Never Told You“ wirkt sie dann wieder so introvertiert wie ein Höhlentier, das sich verletzt in seinen Bau zurückgezogen hat. Nachdem sie ohne jede Vorwarnung von ihrem Freund verlassen wurde, sagt sie ihm vor der Videokamera alles, was sie sich nie zu sagen traute. An den Satzenden sind Taylors Worte kaum mehr zu hören. Wie sie in diesem Film zusammensackt, ihren Schmerz mit sich herumträgt, sich langsam sammelt, auch mal wieder lächelt und irgendwann wieder dieses leicht verschmitzte taylorsche Stehaufmännchen zum Vorschein kommt, das muss man einfach gesehen haben.

KATJA NICODEMUS

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