Attac-Aktivist über Proteste: "Wir laufen uns warm"
Attac-Aktivist Pedram Shahyar ist zufrieden mit den Protesten gegen G-20-Gipfel und Nato. Aber gibt auch zu: Die sozialen Bewegungen brauchen klare Vorschläge für eine bessere Wirtschaftsordnung.
taz: Herr Shahyar, warum scheint es die Menschen hierzulande nicht sonderlich aufzuregen, was die Spekulanten weltweit angerichtet haben?
Pedram Shahyar: Ich glaube schon, dass es eine sehr große Unzufriedenheit gibt.
Das hat sich letzte Woche aber nicht gezeigt. Von einer neuen großen Massenwut war zumindest auf der Straße nicht viel zu spüren.
Europaweit war schon eine Menge los. Es hat in fast allen Großstädten Proteste gegen die derzeitige Krisenpolitik gegeben, in Rom gingen über 100.000 auf die Straße. Unsere Erwartungen wurden aber auch bei den beiden Demos in Berlin und Frankfurt erfüllt. Wir sind eben nicht davon ausgegangen, dass es die großen Massen werden.
Warum nicht?
Diese Krise ist sehr komplex. Die Verantwortlichen sind schwer auszumachen. Noch ist auch überhaupt nicht klar, wer in welcher Stärke betroffen sein wird. Zudem gelingt es den politischen Eliten noch, den Eindruck zu vermitteln, die notwendigen Veränderungen einzuleiten. Beides wird sich aber schnell ändern.
Haben sich die Organisatoren nicht dennoch überschätzt? Die vergangene Woche war schon großspurig zum Auftakt einer neuen Protestwelle ausgerufen worden.
Es war uns aus zwei Gründen wichtig, diese Demos durchzuführen. Wir wollten in der öffentlichen Wahrnehmung präsent sein. Zudem ging es uns darum, unsere eigenen Strukturen zu stärken, um auf den Zeitpunkt vorbereitet zu sein, wenn die Krise auch hierzulande voll durchschlägt. Wir laufen uns warm.
Auf der Demonstration in Berlin sind vor allem diejenigen Kreise sichtbar geworden, die den Kapitalismus als Ganzes abschaffen wollen. Schreckt dieser Radikalismus nicht viele eher ab?
Das glaube ich nicht. Über den Kapitalismus wird momentan in sehr vielen Kreisen diskutiert. Zugleich gehe ich aber nicht davon aus, dass sich damit die große Mehrheit dem Antikapitalismus anschließen wird. Die Bewegung wird keine rein antikapitalistische sein, sondern eine Konsensbewegung aus moderaten und radikalen Kräften.
Sind genau diese beiden Pole nicht das Problem?
Die globalisierungskritische Bewegung der vergangenen Jahre hatte einen gemeinsamen Nenner: Das war der Kampf gegen den Neoliberalismus. Der hat sich nun selbst delegitimiert. In dem Sinne gibt es nun in der Tat zwei Pole. Die einen fordern einen radikalen Antikapitalismus. Die anderen sagen: Jetzt brauchen wir unbedingt eine Allianz mit den politischen Eliten und sollten uns für den Green New Deal starkmachen. Dass wir derzeit Konjunkturpakete und mehr Regulierung brauchen, stellt auch niemand wirklich infrage. Die meisten von uns haben darüber hinaus aber den Wunsch, ein gemeinsames Projekt zu entwickeln, das emanzipatorische Veränderung möglich macht. Das eint uns.
Was müssen Sie auf Ihrer Seite ändern, damit die Proteste größer werden?
In Deutschland gab es lange Zeit die Tradition der sozialen Partnerschaft, und die Gewerkschaften waren sehr stark auf Tarifauseinandersetzungen orientiert. Ich hoffe, das ändert sich nun. Schon unter Rot-Grün haben sich die Gewerkschaften ansatzweise politisiert. Von dieser Entwicklung hängt nun viel ab.
Es ist kein Strategiewechsel bei Attac notwendig?
Doch natürlich. Die Krise stellt auch für Attac eine Zäsur dar. Bisher haben sich die Bewegungen über ein starkes Nein definiert. Nun müssen wir uns vorsichtig an ein Ja herantasten und konkrete Alternativvorschläge vorlegen. Die fehlen uns noch. Die Richtung einer anderen Wirtschaftsordnung - demokratisch, solidarisch und ökologisch -, die stimmt aber.
INTERVIEW: FELIX LEE
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