Atommüll in Deutschland: Das Endlager ist nicht vom Tisch

In Gorleben ist es ruhig geworden. Geschlossen werden die Erkundungschächte aber nicht – der Bund sucht einen Standort.

Natodraht um einige Gebäude

Nach außen gut gesichert: Das Erkundungsbergwerk in Gorleben Foto: dpa

GORLEBEN taz | Mitten im Wald, zwischen Kiefern, Birken und Eichen liegt wie hingegossen Deutschlands bekanntestes Hassprojekt: das Zwischenlager für Atommüll Gorleben. Gorleben, ein Dorf im niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg mit 850 Einwohner*innen, einem Bäcker, einer Anlage für Biogasverwertung und einem Hundefriseur. Es wurde zum Inbegriff der Anti-Atombewegung in Deutschland.

Seit Beginn der 1980er Jahre tobte hier der Gesinnungskampf: Umweltaktivist*innen gegen Atombefürworter*innen, Grüne gegen CDU, Bürgerinitiative gegen Beschäftigte im „Atomblock“. Demos, Blockaden, das Ausheben von Schottersteinen aus Schienensträngen durch die Atomgegner*innen. Verhaftungen, Einsatz von Schlagstöcken, Wasserwerfern, Hunde- und Pferdestaffeln durch die Polizei. Beide Seiten haben sich nichts geschenkt.

Wer heute von der Dorfmitte aus die Lüchower Straße in Richtung Zwischenlager in den Wald fährt, trifft auf eine Idylle. Hier fanden mal schwere Proteste statt? Erbitterte Kämpfe, Gewalt? Aber jetzt: Ruhe. Gorleben hat sich ausgekämpft.

Wenn von Gorleben die Rede ist, haben die meisten Menschenvor allem eins Kopf: Gorleben, ist das nicht das Atomendlager? Nein, das ist es nicht. Ein Endlager für Atommüll gibt es in Deutschland nicht, das wird gerade gesucht. Gorleben hat zwar mit Atommüll zu tun, aber anders.

„Nukleares Massengrab“

Einerseits gibt es das Zwischenlager, das sich rechts von der Lüchower Straße aus in den Forst erstreckt. Dort wird seit 1995 in Castoren hochradioaktiver Abfall aus der nordfranzösischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague zwischengelagert. Die oberirdische Halle ist mit Zäunen und einem strengen Wachschutz gesichert.

Die Serie

In der Serie „Der zweite Blick“ gehen wir Themen nach, die vor Monaten oder Jahren einmal wichtig waren, aber dann aus den Schlagzeilen verschwunden sind. Riesenskandale, große Pläne, kontroverse Debatten – was ist davon geblieben, was ist der aktuelle Stand? Alle Texte gibt es unter taz.de/zweiter-blick

Schräg gegenüber, auf der linken Seite, erstreckt sich das „Endlagerprojekt Gorleben“, ein unterirdischer Salzstock, der bis 3.500 Meter in die Tiefe geht. Seit den 1980er Jahren diente es als Erkundungsbergwerk, hier wurde untersucht, ob sich ein Salzterrain als Endlager für Atommüll eignen könnte. Geplant war, auf 16 Quadratkilometern eine Wiederaufbereitungsanlage, eine Brennelementefabrik, ein Endlager und verschiedene andere Atomanlagen entstehen zu lassen.

Ein Salzstock als Endlager? Das Material ist zu porös und völlig ungeeignet für gefährlichen Atommüll, argumentierten die Kritiker*innen. Als „nukleares Massengrab“ bezeichnete die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, bekannt als BI, das Bergwerk.

Endlager bis 2031

Als am 22. Februar 1977 verkündet wurde, dass Ministerpräsident Ernst Albrecht sein Okay für Gorleben als vorläufigen Standort für ein „Nukleares Entsorgungszentrum“ gegeben hat, war die größte deutsche Antiatomprotestbewegung geboren. Einer der dünn besiedelten Landstriche, der von vielen nur „das Wendland“ genannt wird, bekam eine ganz neue Bedeutung.

Im April 1980, nachdem die zweite Tiefbohrung erfolgt war, besetzten etwa 20 Atomkraftgegner*innen die nächste geplante Tiefbohrstelle. Sie bauten Zelte und Holzhütten auf und verschanzten sich. Anfang Mai kamen etwa 5.000 Prostestier*innen aus dem gesamten Bundesgebiet dazu und riefen die „Freie Republik Wendland“ als eigenen Staat aus. Eine Art basisdemokratische Großkommune mit Sprecherrat und Lagerfeuerromantik.

Legendär ist der sogenannte „Gorleben-Treck“ im März 1979: Über 500 Traktoren, tausende Fußgänger*nnen und Radfahrer*innen machten sich auf den Weg nach Hannover, wo sie im Stadtzentrum von wiederum 100.000 Demonstrant*innen empfangen wurden. Treck und Demo gelten bis heute als die größte Anti-Atomprotestaktion, die es in Deutschland je gegeben hat.

Bis 2013 tobte ein heftiger Kampf, dann war plötzlich Ruhe. Im Juli 2013 hatte der Bundestag das sogenannte „Standortsuchgesetz“ verabschiedet: Bis 2031 soll ein passender Ort gesucht werden, in ganz Deutschland. Noch ist die Landkarte weiß, Gorleben ist trotz der politischen Brisanz der vergangenen Jahrzehnte als Endlager nicht ausgeschlossen.

Protestbewegung im Offenhaltungsmodus

Was passiert nun mit dem Erkundungsbergwerk? Werden die meterhohen und kilometerlangen Schächte in einer Tiefe von bis 870 Metern zugeschüttet? Bohrungen und Forschung haben 1,8 Milliarden Euro verschlungen.

Dicht gemacht wird der Salzstock nicht – für den Fall, dass Gorleben doch als Endlager in Frage kommt. Daher geht das Erkundungsbergwerk in den „Offenhaltungsbetrieb“ über, wie Monika Hotopp, Sprecherin der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), der taz sagte. Die BGE ist für das Bergwerk zuständig und betreibt neben Gorleben die Schächte Asse in Wolfenbüttel und Konrad in Salzgitter sowie die in der DDR als Endlager vorgesehene Anlage Morsleben.

Unterirdisch wird also nichts zugeschüttet oder verfüllt, oberirdisch werden Gebäude abgerissen, manche sollen als Bürokomplexe vermietet werden. Von den zum Schluss 60 Mitarbeiter*innen – Technik, Verwaltung, Wachpersonal – sind etwa 20 geblieben. In Hoch-Zeiten arbeiteten bis zu 200 Leute unter und über Tage.

Arbeitslos geworden ist nach BGE-Angaben niemand. „Alle Mitarbeitenden wurden Arbeitsplätze in anderen Bergwerken angeboten“, sagte Hotopp. Wer das nicht wollte, erhielt eine Abfindung, andere gingen in den Ruhe- und Vorruhestand.

Und die Protestbewegung? Ist ebenfalls im Offenhaltungsmodus. Die „Probleme bei der Zwischenlagerung werden immer heißer“, sagte Wolf-Rüdiger Marunde von der BI. Das brenne „unter unseren Sohlen“: „Es gibt also keinen Grund, über Langeweile im Widerstand zu klagen.“

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