Atomkraftgegnerfilm „Wackersdorf“: Er kämpft wacker mit sich
Was bringen 3.000 Arbeitsplätze auf Kosten der eigenen Gesundheit? Oliver Haffners Spielfilm „Wackersdorf“ stellt die Gewissensfrage.
Es waren unruhige Zeiten in der Bundesrepublik. Seit den 1960ern trieb es die Leute zu Ostermärschen auf die Straße. Der Nato-Doppelbeschluss 1979, das atomare Wettrüsten machten ihnen Angst. Im März 1979 gab es einen Kernschmelzunfall im US-amerikanischen Harrisburg. Nun war es nicht mehr nur die Furcht vor dem Krieg, sondern auch vor der Atomenergie, die die Proteste wachsen ließ. 1983 nahmen bundesweit 700.000 Menschen an Friedensaktionen teil.
Bekanntermaßen sollte die Einsicht, dass Atomenergie keineswegs sauber und sicher ist, erst nach dem Reaktorunfall in Fukushima 2011 ein Umdenken in der deutschen Politik bewirken. Als 1981 der Bau einer Wiederaufbereitungsanlage in der oberpfälzischen Gemeinde Wackersdorf geplant wurde, war Atomenergie für konservative Politiker noch das Synonym für Zukunft und wirtschaftlichen Aufschwung.
Sie hatten nicht mit dem massiven Protest der Bevölkerung gerechnet. Franz Josef Strauß, der ewige bayerische Ministerpräsident, erwartete wenig Widerstand in der Region. Die einstige Braunkohleregion kämpfte mit hohen Arbeitslosenzahlen. FJS versprach den Betreibern stabile politische Verhältnisse und Akzeptanz durch die „industriegewohnte Bevölkerung“. Daraus wurde nichts.
Zu Beginn der Rodungen im Taxöldener Forst entstanden im Dezember 1985 die Hüttendörfer „Freie Oberpfalz“ und „Freie Republik Wackerland“. Der Unmut in der Bevölkerung und Demonstrationen mit 35.000 Menschen auf dem Schwandorfer Marktplatz bewirkten bei der bayerischen Staatsregierung aber kein Einlenken, sondern immer stärkere Repressionen: Demonstrationsverbote, Umstellungen von Dörfern durch die Polizei und massenhafte Verhaftungen schaukelten die Stimmung hoch. Die Boulevardpresse sprach von einem „Bürgerkrieg“.
„Wackersdorf“. Regie: Oliver Haffner. Mit Johannes Zeiler, Peter Jordan u. a. Deutschland 2018, 123 Min.
Der Film „Wackersdorf“ zeigt wenig von dieser spektakulären Seite. Regisseur Oliver Haffner konzentriert sich auf die Gewissensfrage: „Was hast du denn von 3.000 Arbeitsplätzen, wenn es auf Kosten deiner Gesundheit geht?“ Das fragt sich der SPD-Landrat Hans Schuierer und macht sich damit nicht nur bei der CSU, sondern auch in seiner eigenen Partei Feinde. Ein Politiker aus dem Bilderbuch, der nicht an Machterhalt denkt, sondern seine Verantwortung ernst nimmt.
Versprechungen des bayerischen Umweltministers
Er lässt sich anfänglich überzeugen von den unseriösen Versprechungen des bayerischen Umweltministers (von Siggi Zimmerschied verschlagen und hinterhältig verkörpert) und von Billinger, dem Abgesandten der Betreibergesellschaft, den Fabian Hinrichs eiskalt und berechnend spielt.
Eine Diskussion am Abendbrottisch mit der Tochter, die vom atomkritischen Physiklehrer erzählt, Anfeindungen von Bürgern („ihr seids die Marionetten vom Großkapital“) und das illegale Zerstören eines Beobachtungsturms auf privatem Gelände durch die Polizei – man sieht Johannes Zeiler als Landrat an, wie quasi von selbst die Zweifel an dem Megaprojekt wachsen.
Der Film beobachtet ihn, lässt ihm Zeit, die Kämpfe mit sich und seinem Umfeld auszufechten. Die großen Kämpfe, Menschenketten, prügelnde Polizisten, zeigt Haffner nur in Rückblenden mit Originalfilmausschnitten. Sein Fokus ist der Alltag, es sind die Ortsgruppenversammlungen und Dorffeste, auf denen der Riss durch die Gesellschaft klar wird.
Entwicklung hin zum Kämpfer
Haffner hat den Landrat nach langen Gesprächen als Hauptperson für die Geschichte ausgewählt. Schuierers Entwicklung hin zum Kämpfer gegen die Atomkraft ist stellvertretend für die Entwicklung eines Teils der Gesellschaft, für das Aufbegehren gegen staatliche Willkür – auch wenn es persönlich Nachteile bringt. Der Landrat wurde durch ein gegen ihn gerichtetes Gesetz vom bayerischen Staat entmachtet: Seine Zustimmung zum Bau der Anlage war nicht mehr nötig.
Die Menschen der Region hielten zu ihm, seine Amtszeit überdauerte die WAA. 1989 kam das Aus, nach sieben Jahren Protesten mit mehreren 100.000 DemonstrantInnen, einem massiven Aufstocken der Ausgaben für die bayerische Polizei, 881.000 Einwendungen von Bürgern und der Verschwendung von 10 Milliarden Mark wurde eines der umstrittensten Bauwerke der Bundesrepublik ad acta gelegt.
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