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Atomkontrolleure belasten sich selbst

■ Dramatischer Tag vor dem Hanauer Landgericht: Früherer Referatsleiter im Bundesamt für Wirtschaft räumt eklatante Mißstände und Mauscheleien bei Genehmigung von Atomexporten ein/ Auch Bonn wollte Pakistan Geschäft genehmigen

Hanau (ap/taz) — Den Offenbarungseid hat im Hanauer Prozeß um die illegale Ausfuhr von atomwaffentauglichen Materialen die Kontrollbehörde des Bundesamtes für Wirtschaft angetreten. Dabei wurden eklatante Mißstände bei der Genehmigung von Atomexporten sichtbar: Regierungsdirektor Manfred Ruck vom Bundesamt sagte jetzt als Zeuge aus, er und das Bonner Wirtschaftsministerium hätten Mitte der 80er Jahre die Ausfuhr einer Tritiumanlage nach Pakistan befürwortet, obwohl „jeder“ gewußt habe, „daß Pakistan im Begriff war, die Bombe zu bauen“.

Der Geschäftsführer der hessischen Firma Neue Technologien NTG, Rudolf Ortmeyer, und seine zwei Mitstreiter Finke und Weichselgartner stehen in Hanau wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschafts- und das Kriegswaffenkontrollgesetz vor dem Landgericht. Unter anderem sind sie angeklagt, Tritium und eine Tritiumsammelanlage illegal nach Pakistan exportiert zu haben.

Regierungsdirektor Ruck sagte, er als damals allein zuständiger Referatsleiter habe sich zu der Zeit für die Genehmigung des Exports einer Tritiumanlage ausgesprochen, obwohl er von NTG keine „konkrete“, sondern nur eine „mehr allgemeine Beschreibung“ der Anlage erhalten hatte. Ruck räumte ein, daß er technisch überfordert war und zu diesem Zeitpunkt eigentlich gar nicht so recht wußte, welche Funktion Tritium für die Atomwaffenherstellung besitzt. Erst später, so Ruck, habe er sich ausführlicher über die militärische Bedeutung von Tritium informiert.

Bei der Genehmigung verließ sich das Bundesamt vor allem auf die Liste, auf der die „sensiblen“ und für die Ausfuhr unerlaubten Komponenten aufgeführt sind. Die Tritiumanlage sei aber nicht ausdrücklich auf dem Index genannt worden. Daraus folgerte Ruck: Was nicht verboten sei, sei erlaubt. Der Regierungsdirektor fügte hinzu, es habe insbesondere bei Nukleargeschäften viele Fälle gegeben, in denen die Ausfuhrliste nicht gereicht habe, um Exporte zu verhindern.

Ruck bestätigte auch, daß der Atomdeal mit Bonn abgestimmt werden sollte. Dabei wurde ganz offenkundig gemauschelt. Die positive Stellungnahme des Bundesamtes für Bonn sei, so Ruck, mit Geschäftsführer Ortmeyer abgesprochen worden. Aus einer Telefonnotiz, die Ortmeyer über ein Gespräch mit Ruck anfertigen ließ, geht hervor, daß Ruck dem Geschäftsführer empfahl, statt des Begriffs Tritiumextraktionsanlage, der „etwas ungeschickt“ sei, lieber den Begriff Schwerwasserreinigungsanlage zu verwenden. Obwohl das Außenministerium für ein Exportverbot gewesen und sich jeder der „Brisanz“ des Geschäfts bewußt gewesen sei, habe das Wirtschaftsministerium die Ausfuhr absegnen wollen. Die NTG scheiterte schließlich aus rein formalen Gründen. Nur weil die Gelnhausener Firma eine noch erforderliche Unterlage nicht vorgelegt habe, sei der Antrag schließlich abgelehnt worden, sagte der Regierungsdirektor. Der brisante Export erfolgte später illegal.

Nach Rucks Darstellung hatte NTG die Genehmigung für den Export einer Anlage beantragt, mit der tritiumverseuchte Reaktoren in Pakistan gereinigt und dabei ein Tritium- Gasgemisch gewonnen werden kann. Das Außenministerium sei der Meinung gewesen, daß damit das für den Bombenbau notwendige reine Tritium gewonnen werden könne. Er habe dem widersprochen.

Ein Sachverständiger bestätigte gestern vor dem Landgericht, daß Tritium für die Verstärkung von atomaren Sprengkörpern benötigt würde. Dabei würden schon vier Gramm genügen, um die nukleare Explosion „schneller und effektiver“ zu machen.

Botschaftsrat Hartmut Blankenstein sagte vor dem Landgericht, der illegale Export von Nukleartechnologie nach Pakistan durch die NTG habe die internationale Glaubwürdigkeit der deutschen Außenwirtschaftspolitik spürbar beeinträchtigt. Das Bekanntwerden der Exporte im Dezember 1988 habe im Ausland „heftige Reaktionen“ hervorgerufen, die Nachwirkungen würden außenpolitisch „noch lange Zeit zu spüren“ sein.

Blankenstein, der jetzt Botschaftsrat in Madrid ist, war von 1985 bis Frühjahr 1990 im Außenministerium für die internationale Zusammenarbeit bei der „friedlichen Nutzung der Atomenergie“ zuständig. Erklärtes Ziel der Bundesregierung sei es gewesen, den Ländern, die den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben hatten, Atomtechnik nur dann liefern zu lassen, wenn sie sich von der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) kontrollieren ließen. Wie Blankenstein einräumte, konnte Pakistan durch die illegalen Exporte die gewünschte Technologie erhalten, ohne sich den IAEO-Kontrollen zu unterwerfen.

Die Bundesregierung sei ab 1985 auf mögliche Exportgeschäfte von NTG aufmerksam gemacht worden. Die USA, aber auch die Sowjetunion und der westliche Nachbar Frankreich — mit sensiblen Exporten selbst nicht gerade zimperlich — hätten sich besorgt über Geschäfte mit Pakistan geäußert. Die Bundesregierung sei mit ihrer Nuklearexportpolitik „immer mehr unter Druck geraten“. In ausländischen Zeitungen sei heftige Kritik an der Bundesrepublik geübt worden. Noch im April 1990 sei in einer Studie der amerikanischen Carnegie-Stiftung die Bundesrepublik als das „schwache Glied“ im Exportkontrollsystem genannt worden. -man-

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