Atomforum macht auf cool: Schön verstrahlt
Cooler Club und junge Kronzeugen für Atomkraft: Im Bemühen um ein neues Image überlässt das Deutsche Atomforum nicht viel dem Zufall. Ein Ortstermin.
Aus den schweren Boxen dringt gedämpfte Musik, finstere Security-Leute bewachen die Eingänge, freundliche Hostessen verteilen Begrüßungscocktails, und elegant gekleidete Menschen, überwiegend zwischen 25 und 45, stehen smalltalkend an der Bar: Auf den ersten Blick ist im Berliner Edel-Club 40seconds alles wie immer.
Doch tatsächlich geht es an diesem Mittwochabend um Großes: "Deutschland - deine Zukunft" heißt das umfassende Motto, unter dem das Deutsche Atomforum zur Diskussion geladen hat - laut Ankündigung "vorurteilsfrei und unkonventionell". Doch was zu dieser Zukunft dazu gehört, daran soll es natürlich keinen echten Zweifel geben, wenn der zentrale Lobbyverband der Atomwirtschaft einlädt. Auf den fünf Bons für Freigetränke, die jeder Gast erhält, ist die Vision eines Atomkraftwerks direkt neben dem Brandenburger Tor in Berlin zu bewundern.
Zu erklären, warum das Abschalten von AKWs keine gute Idee ist, überlässt der Verband an diesem Abend überwiegend anderen: Eine ganze Riege smarter junger Diskutantinnen und Diskutanten ist vor den Fenstern des Clubs aufgebaut, durch die die Skyline des Potsdamer Platzes leuchtet. Carsten Reinemann, der es mit 37 Jahren schon zum Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität München gebracht hat, darf zum Einstieg berichten, dass junge Menschen Atomkraft heute viel weniger ideologisch sehen.
Der amtierende Tischtennis-Europameister Timo Boll, laut Selbsteinschätzung "kein Energieexperte", geht davon aus, dass wir "immer mehr Strom benötigen werden" und darum "alle Möglichkeiten ausschöpfen sollten". Außerdem sei Atomstrom ja billig - wenn auch nicht ganz kostenlos wie der Strom, den Boll als Olympiamedaillengewinner ein Jahr lang vom Atomanbieter Eon bezieht.
Die schwedische Journalistin Therese Larsson berichtet, warum ihr Land den Atomausstieg revidiert und warum Kohlekraftwerke problematischer sind als Atomreaktoren. Jungunternehmer Emanuel Heisenberg, der selbst Biogas-Turbinen herstellt, tritt als Kronzeuge gegen seine eigene Branche auf, indem er erklärt, man dürfe "die Erneuerbaren nicht überfordern" und sollte längere AKW-Laufzeiten als "Übergangstechnologie" akzeptieren - sekundiert vom Junge-Union-Vize Johannes Pöttering, der vor einer "De-Industrialisierung" Deutschlands warnt.
Der einzige echte Atomkraftgegner auf dem Podium, der Neu-Grüne und Alt-Attacler Sven Giegold, hält zwar faktenreich dagegen und kann viele Argumente widerlegen. Doch den präzise inszenierten Gesamteindruck - viele junge Leute denken neu über Atomkraft nach - kann er angesichts der Fünf-zu-eins-Zusammenstellung des Podiums nicht ernsthaft gefährden. Zumal auch der Journalist Hajo Schumacher als Moderator diesen Eindruck bestärkt, wenn er erklärt, er habe "früher auch einen Anti-Atom-Aufkleber auf dem Auto" gehabt, doch nun frage er sich auch, ob es wirklich besser sei, Atomstrom stattdessen zu importieren. Für Lobby-Interessen instrumentalisiert fühlt er sich dabei nicht - schließlich liege das Honorar "im üblichen Rahmen" und bei den Fragen habe es "keine Einmischung" gegeben.
Atomforums-Geschäftsführer Dieter Marx ist mit dem Abend zufrieden: Anders als bei sonstigen Veranstaltungen des Verbands, wo "ein älteres Publikum einem noch älteren Podium" lausche, sei es nun gelungen, junge Menschen zu erreichen. Ganz dem Zufall überlassen hat man deren Zusammensetzung aber nicht. Trotz selektiver Einladung und langfristiger Anmeldepflicht fanden sich zwar auch einzelne Vertreter von Umweltverbänden zu den Cocktails und Häppchen im 40seconds ein; den Großteil des Publikums stellten aber neben jungen Mitarbeitern von Atomunternehmen viele Nachwuchskräfte von Union und FDP.
Auch dass die Presse nur sehr selektiv eingeladen wurde - die taz etwa erfuhr nur durch Zufall von dem Termin -, spricht dafür, dass das Atomforum die Vermarktung der Veranstaltung, die von mehreren eigenen Kamerateams und Fotografen dokumentiert wird, gern in der eigenen Hand behalten will. Originelle Postkartenkampagnen ("Willst du wirklich mit mir Schluss machen?"), eine geplante Kooperation mit Deutschlands größter Schülerzeitung Spiesser und Werbeartikel über die "Generation Energiezukunft" zeigen die neue Stoßrichtung der PR an.
Doch zumindest ein wenig profitieren auch die Atomkraftgegner von dem exklusiven Abend. Denn Sven Giegold präsentierte dort nicht nur ihre Argumente. Er bestand in seinem Vertrag auch darauf, dass das Atomforum das angebotene Honorar von immerhin 1.000 Euro an die Anti-Atom-Kampagne des Onlinenetzwerks Campact überweist. Dort allerdings will man das Atom-Geld gar nicht haben. Wer nun stattdessen bedacht wird, ist noch offen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe