■ Atlanta: Amoklauf hat in den USA eine lange Tradition: Alle werden reich, nur ich nicht
Am 31. Juli 1966 stieg der 24jährige Charles Whitman mit einem Seesack voller Gewehre, einigen Sandwiches und einem Radio auf den Glockenturm der University of Texas in Austin. Von dort schoß er auf den Campus herunter und tötete 16 Menschen, bevor er bei einem Sturm auf den Turm starb. Am 19. 8. 1986 war Pat Sherril, ein Postangestellter in Norman, Oklahoma, von seinem Arbeitgeber abgemahnt worden. Am Tag darauf erschoß er 14 seiner Kollegen. Am 16. Oktober 1991 fuhr George Jo Hennard seinen blauen Pickup-Truck durch die Scheibe eines Diners in der Stadt Killeen, Texas. „Dies ist, was Bell County mir angetan hat. Ich hoffe, es war es dir wert, Texas!“ schrie er, als er der Fahrerkabine entstieg und um sich zu schießen begann.
Der Amoklauf hat in den USA eine lange Tradition, die mit dem spektakulären Massenmord von Austin nicht begann und mit Atlanta nicht zu Ende gehen wird. Solche Affekthandlungen sind schwer erklärbar, trotzdem lassen sich Muster nachweisen. So folgte dem Massenmord an der Post in Norman eine Serie von Massenmorden am Arbeitsplatz – vor allem an Poststellen. „Going postal“ war zeitweise ein Ausdruck für Rache an Arbeitgebern oder Kollegen. 38 Postangestellte starben seit 1986 so.
Der jüngste Massenmord in Atlanta fügt sich ein in die Tradition jener Morde, mit denen am Arbeitsplatz oder am Leben gescheiterte Männer – die Amokschützen sind immer weiße Männer – ihre Verzweiflung ausdrücken. Spielereien mit Aktien gelten heute in den USA als Alternative zur konventionellen Arbeit und als sicherster Weg zu Reichtum und Erfolg. „Online Trading“ am Bildschirm – zu Hause oder in Brokerage-Firmen – ist zu einem wichtigen neuen Arbeitsplatz geworden.
Anfang Juli erschien Newsweek mit einem verzweifelten Comic-strip-Gesicht auf der Titelseite und der Sprechblase „Alle werden (am Aktienmarkt) reich, nur ich nicht.“ Dies könnte das karikaturhaft verzerrte Gesicht Mark Bartons gewesen sein.
Der Massenmord von Atlanta rückt auch die Schulschießereien von Littleton und Johnesboro ins richtige Licht. Man kann die Diskussion über die Sozialisation von Jugendlichen, über die Rolle der Medien und der Computerspiele bei der jugendlichen Gewalt und was noch alles die Ursache für den Amoklauf von Kindern gewesen sein soll, getrost einstellen. Die Kids machen nur nach, was sie als Art der Erwachsenen kennen, mit Niederlagen umzugehen. Peter Tautfest
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