: Athener Bildungspolitik am Ende
■ Zehntausende Studenten demonstrierten gegen miserable Lebens– und Arbeitsbedingungen / Fast alle Hochschulen des Landes sind von Studenten besetzt worden / Diplom führt fast immer in Arbeitslosigkeit
Von Georg Schwarz
Rund 30.000 Studenten zogen Dienstag abend durch die Innenstadt von Athen, begleitet von Universitätsprofessoren, Lehrern, Textil– und Bauarbeitern, Eltern und Schulkindern. Es war die größte Mobilisierung seit über sechs Jahren. Am Dienstag ging der Streik von über 100.000 Studenten in seine zweite Woche. Studenten der Hochschulen und Fachhochschulen des Landes halten große Teile der Universität und der technischen Hochschule von Athen, der Universität Saloniki, der ionischen Universität auf Korfu und der Universität von Joannina in Nordwestgriechenland besetzt. Die Forderungen der Streiken den sind staatliche Hilfen für die Lösung der Wohnungs– und Ernährungsprobleme der Studenten, kostenlose Lehrbücher und größere Etatmittel für das Erziehungswesen. Seit etwas sechs Jahren haben mittellose Studenten in Griechenland Anspruch auf freie Mahlzeiten: 225 Drachmen werden täglich bedürftigen Studenten zur Verfügung gestellt. Das genügt nicht mal für eine einzige Mahrzeit. Annähernd 50.000 Jugendliche strömen jährlich aus der Provinz an die Universitäten des Landes. Ihnen stehen gerade 2.000 Zimmer zur freien Verfügung. Die für Prüfungen notwendigen Bücher, die nach dem Willen der Regierung ebenfalls frei zur Verfügung gestellt werden sollen, werden im mer erst kurz vor Ende des Semesters verteilt. Diese Mängel stellen nur die Spitze des Eisbergs dar und verdeutlichen die Misere der griechischen Bildungspolitik. Nach ihrem Wahlsieg wollten die Sozialisten nämlich die bis dahin geschlossene Institution der Hochschulen für breitere Bevölkerungsschichten öffnen und gaben deshalb den zuvor mit strengen Eintrittsprüfungen gekoppelten Numerus–clausus auf. Innerhalb der sechs folgenden Jahre verdoppelte sich die Zahl der Studenten, die dafür notwendige Infrastruktur - Bereitstellung von Lehrern, Schulen und Bücher - blieb allerdings aus. Sie bauten planlos neue Universtitäten, in der Provinz zum Beispiel die Hochschule der nördlichen Provinz Thraki: die technische Fakultät verfügte über einen einzigen Dozenten, der mehr als 1.000 Studenten unterrichten sollte. In der medizinischen Fakultät hingegen gab es 17 Professoren, aber keinen einzigen Studenten. Teuer bezahlt wird indessen der Traum aller griechischen Familien, einen Diplomierten zuhause zu haben. Die Wirtschaft kann die Verdoppelung der Wissenschaftler kaum aufnehmen; das Diplom verkam zum Freifahrtschein in die Arbeitslosigkeit. „Laßt die Worte und schafft für uns Arbeitsplätze“, schrien die Studenten Dienstag. Dieser Spruch steht nun auch auf den Wänden der meisten Athener Universitäten.
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