: Asyl für DDRler im Bruderland?
■ Ungarn prüft Möglichkeit politischen Asyls für DDR-Bürger / Weiterreise in die BRD dann sicher
Berlin (dpa/taz) - Fluchtversuche von DDR-Bürgern aus Ungarn über die grüne Grenze nach Österreich reißen nicht ab. Jetzt verlautete aus dem Flüchtlingsbüro des ungarischen Innenministeriums: Man prüfe gegenwärtig die Möglichkeit, DDR-Bürgern politisches Asyl zu gewähren. Als Asylanten anerkannt, könnten sie dann problemlos in die BRD weiterreisen. Mit diesem Schritt würde ein sozialistisches Land zum ersten Mal Bewohnern anderer sozialialistischer Staaten Asyl gewähren.
Das Verhalten der ungarischen Grenzbehörden gegenüber in flagranti erwischten Grenzgängern folgte bisher keiner einheitlichen Linie. Ließ man einige gen Westen ziehen, erhielten andere einen Sichtvermerk im Paß, der bei Rückkehr in die DDR mit Sicherheit Repressalien und ein Verfahren wegen Republikflucht nach sich gezogen hätte. Mittlerweile sollen 130 DDR-Bürger aus diesem Grund Unterschlupf in der bundesdeutschen Botschaft in Budapest gesucht haben. Fortsetzung auf Seite 2
Der DDR-Rechtsanwalt Vogel, der schon mehrfach bei Botschaftsbesetzungen als Vermittler eingeschaltet worden ist, soll sich zur Zeit in der bundesdeutschen Mission aufhalten. Das ungarische Innenministerium bestätigte ebenfalls Berichte, wonach einige Flüchtlingslager in Ungarn im Bau seien. Zunächst waren diese „Empfangsstationen“ nur für die ungarischstämmigen Flüchtlinge aus Rumänien gedacht. Vor geraumer Zeit hatte Ungarn die Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen unterzeichnet - vornehmlich wohl, um sich dem vertraglichen Zwang zur Auslieferung seiner Landsleute an das Ceausescu-Regime völkerrechtlich zu entziehen. Würde Ungarn dieses Recht auch auf Flüchtlinge anderer osteuropäischer Länder ausdehnen,
käme es seiner mit der Unterzeichnung eingegangen Verpflichtung konsequent nach. Die Andeutung aus dem ungarischen Innenministerium, die Lager stünden „allen offen“, weist in diese Richtung.
Kritische Stimmen gegen die Behandlung der DDR-Bürger regten sich in letzter Zeit nicht nur auf Seiten der Opposition. Auch der Reformpolitiker und Staatsminister Imre Poszgay meinte, es sei nicht Ungarns Aufgabe, die Grenzen anderer Staaten zu sichern. Noch allerdings existiert ein bilaterales Abkommen mit der DDR aus dem Jahr 68, wonach Ungarn „Grenzverletzer“ ausliefern muß. Eine Aufkündigung dieses Abkommens sei nicht vorgesehen, verlautete es aus dem ungarischen Außenministerium. Hier hieß es auch, DDR-Bürger könnten nur dann mit Asyl rechnen, wenn sie nachwiesen, daß sie aus politischen oder religiösen Gründen in der DDR Repressalien ausgesetzt seien.
Khd
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