Asia-Allianz: Für das Recht auf Despotie!
Russland und China verfolgen mit der "Schanghaier Organisation" verschiedene Ziele. Einig ist man sich, den US-Einfluss in der Region zu begrenzen
BISCHKEK taz Schon bei ihrer Ankunft auf dem Flughafen der kirgisischen Hauptstadt Bischkek konnten die angereisten Staatspräsidenten mit eigenen Augen sehen, wie wenig sie seit ihrem letzten Treffen erreicht hatten. Ein Transall-Flugzeug der US-Air-Force reihte sich auf der Landebahn an das nächste - und das, obwohl die Präsidenten der "Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit" auf ihrem Gipfeltreffen vor zwei Jahren einmütig eine Erklärung verlangt hatten, dass die USA bald ein Abzugsdatum für ihre Truppen aus Zentralasien bekannt geben.
Nur wenige Kilometer von der US-amerikanischen Militärbasis in Bischkek entfernt fand gestern das Gipfeltreffen der Organisation statt, die von Kritikern als "Despotenclub" bezeichnet wird. Dominiert wird die "Schanghaier Organisation" von Russland und China, außerdem gehören ihr die vier zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan und Usbekistan an. Allein Turkmenistan, das sich einer "Neutralitätspolitik" verpflichtet sieht, fehlt in dieser Runde; dafür sind die Mongolei, der Iran, Indien und Pakistan und Afghanistan als Beobachter dabei.
Die vor elf Jahren gegründete Organisation verfolgt vor allem das Ziel, den US-amerikanischen Einfluss in der Region zwischen dem Kaspischen Meer und chinesischer Grenze zu beschränken. Oder, wie es der russische Präsident Wladimir Putin gestern formulierte: "Eine multipolare Welt sicherzustellen."
Diesmal verzichtete man darauf, die USA namentlich zu kritisieren. Lediglich der als Gast nach Bischkek gekommene iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad redete in einer wolkigen Grußbotschaft von "einem gewissen Land der Gewalt, das überall fremde Territorien besetzt und Leid über die Bevölkerung bringt". Ohne die USA ausdrücklich zu erwähnen, wandten sich die Teilnehmerstaaten abermals gegen jede Einmischung von außen. "Jedem Staat soll das Recht auf eine unabhängige Entwicklung zugesichert werden", hieß es in der gestern verabschiedeten "Bischkeker Erklärung".
Den USA wird vorgeworfen, unter dem Vorwand von Demokratie und Menschenrechten die Regierungen in den zentralasiatischen Staaten stürzen zu wollen. Vor allem gilt dies, seit die Amerikaner in der Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001 auch militärisch in der Region präsent sind.
Allerdings mussten die Amerikaner im November 2005 ihre Militärstützpunkte in Usbekistan räumen. Die USA hatten nämlich in aller Schärfe ein Massaker kritisiert, das usbekische Soldaten im Mai 2005 bei einem Aufstand in der Provinzstadt Andischan verübt hatten. Daraufhin hatte der usbekische Präsident Islam Karimow den Abzug der US-Truppen verfügt.
Stattdessen gelang es dem damaligen US-Außenminister Donald Rumsfeld, dem kirgisischen Präsidenten Kurmanbek Bakijew eine Bestandsgarantie für die US-amerikanische Militärpräsenz in dem zentralasiatischen Gebirgsland abzuringen, obwohl Bakijew ebenfalls die Abzugserklärung der Schanghaier Organisation unterschrieben hatte. Seither kam es zwischen Washington und Bischkek immer wieder zu Spannungen.
Die Themenliste des gestrigen Gipfeltreffens, auf dem ein Nachbarschaftsvertrag und die "Bischkeker Erklärung" unterschrieben wurden, war weit gefächert. Es wurde die Einheit im Kampf gegen "Terrorismus", "Extremismus" und Separatismus" beschworen, und die Sorge über die anhaltende Krise in Afghanistan ausgedrückt.
Die Organisation verpflichtete sich dazu, gegen den Drogenschmuggel vorzugehen, und Putin schlug gar eine Afghanistankonferenz vor. Der afghanische Präsident Hamid Karsei, der ebenfalls als Beobachter nach Kirgistan gekommen war, bat um Unterstützung der afghanischen Krise.
Der russische Präsident betonte in Bischkek vor allem die sicherheitspolitische Relevanz der Schanghaier Organisation und lobte das derzeit in Russland abgehaltene gemeinsame Manöver als Beginn einer weiterreichenden Militärkooperation.
Der chinesische Präsident Hu Zintau hingegen hob die wirtschaftliche Perspektiven der Organisation hervor. Zwar wurde dieser Konflikt nicht ausgetragen, doch die unterschiedlichen Erklärungen zeigen, welche Ziele beide Staaten mit der Schanghaier Organisation verfolgen: Russland militärische, China wirtschaftliche. Und das weniger im gegenseitigen Einvernehmen als in Konkurrenz zueinander.
Gestört wurde die Harmonie lediglich vom usbekischen Präsidenten Karimow. Er forderte, dass die Nutzung der Wasserkraft grenzübergreifender Flüsse in Zentralasien nur nach gemeinsamer Absprache möglich sein sollte. Kirgistan und Tadschikistan planen nämlich, an den Oberläufen des Amu Darja und Szr Darja Wasserkraftwerke zu bauen. Usbekistan, dessen Landwirtschaft von einem ungehinderten Wasserzulauf abhängt, fühlt sich von diesen Vorhaben bedroht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken