Arte-Doku über Sterneköche: Das System Michelin

Die Doku „Die Köche und die Sterne“ geht dem Kult um die Michelinsterne auf den Grund. Kann man Sterne zurückgeben? Und ist Wein wirklich die Rettung der Spitzengastronomie?

Juan Mari Arzak (li.) entwickelt zusammen mit seiner Tochter Elena "Gerichte, die in die Geschichte eingehen". Bild: arte

Dass sich Arte am Sonntagabend den Sterneköchen dieser Welt widmet, passt. Schließlich steht selbst die Betriebskantine im Straßburger Hauptquartier des deutsch-französichen Kulturkanals ganz zu Recht in dem Ruf, sterneverdächtig gut zu sein.

„Die Köche und die Sterne“ ist aber kein bewegter Restaurantführer auf hohem Niveau, sondern eine durchaus distanzierte Bestandsaufnahme des Systems Michelin, das für den ganzen Sternezauber verantwortlich ist: Als sich 2003 der französische Starkoch Bernard Loiseau mit seinem Jagdgewehr erschoss, weil ihn die Bewerter-Konkurrenz von Gault Millau schon heruntergestuft hatte und er nun auch den Verlust eines Michelin-Sterns fürchtete, hinterließ das Narben in einer narzisstischen Branche, die bis heute sichtbar sind. Auch wenn sich von den europäischen Sterneköchen jeder um die konkrete Beantwortung der Fragen herumdrückt.

Am Ehrlichsten gerät da noch die Antwort von Antonio Santini vom gleichnamigen Restaurant in der Lombardei: „Wer drei Sterne hat, kann schlecht ein System kritisieren, das ihn an die Spitze stellt“. Santini hat dabei gut reden – er ist schließlich „nur“ Inhaber und Maître de Maison des Restaurant. Die Küche leitet seine Frau Nadia, und auch die Oma und der Sohn kochen schon mit. Chefköchinnen wie Nadia stehen übrigens nur bei ganzen sechs der weltweit 71 Drei-Sterne-Restaurants am Herd.

Und dann ist da noch Olivier Roellinger. Der gab Ende 2008 die drei Sterne seines bretonischen Fischrestaurants zurück. „Ich bin fertig damit – und auch meine Gäste sind damit fertig“, sagt Roellinger im Film und blickt an einer einsamen Bucht sitzend versonnen aufs Meer.

Doch die schärfste Kritik am System Michelin kommt – unfreiwilligerweise – von dem Mann, der mit strenger Miene sagt, Michelin-Sterne könne man gar nicht zurückgeben: Jean-Luc Naret, als Direktor des Guide Michelin Herr über das kulinarische Rattenrennen, versprüht mit seinen zurückgegelten Haaren und seiner herrischen Art den Charme eines überengagierten Verkäufers von Luxuskarossen. Und streng genommen ist er ja auch so etwas: Als erster Direktor in der 110-jährigen Geschichte des Gastroführers war er zuvor kein Restauranttester, sondern hatte für den Aga Khan erfolgreich Hotels gemanagt. Nun soll er auch das Michelin-Reich möglichst gewinnträchtig global erweitern.

So hat Tokio zwar erst seit zwei Jahren einen eigenen Guide Michelin – aber zusammen schon heute mehr Sterne als Paris. Hideki Ishikawa ficht das allerdings wenig an: Der Chef(koch) eines traditionellen, engen, gar nicht so luxuriösen Drei-Sterne-Tempels könnte auf der Straße im smarten dunklen Zwirn eher als Investmentbanker oder Unternehmensberater durchgehen. Doch auch er ist einer der Philosophen am Herd.

Bei ihm ist niemals der Kommandoton zu hören, der an U-Boot-Angriffe in schlechten Kriegsfilmen erinnert – und der bei anderen Protagonisten des Films durchaus üblich ist. Im Gegenteil: Hier wird zu später Stunde nach Restaurantschluss das gesamte Personal per Handschlag verabschiedet. „Ich würde mein Team niemals tadeln oder schlagen“, sagt Ishikawa ernsthaft, denn das „ist auch für die Gäste nicht angenehm“.

„Die Köche und die Sterne“ spielt Topfgucker in drei Kontinenten, was hier und da zu Lasten einer gewissen Erzähl-Stringenz geht. Dafür gibt es Momentaufnahmen aus dem Food-Imperium des Elsässers Jean-Georges Vongerichten, der heute von New York aus 3.500 Angestellte in Restaurants weltweit dirigiert und aus der Laborküche von Juan Mari Arzak im baskischen San Sebastián. Ihm ist der Ausdruck „Molekularküche“ ein Greuel, auch wenn er einer ihrer Väter ist – und den Anspruch hat, Gerichte zu schaffen „die es für immer geben wird.“

Die immer wieder spürbare kleine Distanz bei aller Begeisterung für gutes Essen steht dem Film gut. Vielleicht ist deshalb auch kein Franzose Autor von „Die Köche und die Sterne“, sondern der Ostwestfale Lutz Hachmeister, ein bekennender Liebhaber auch bodenständiger Gerichte wie – ähem – Stippgrütze. Nun haben ihm Arte, WDR und NDR den Traum verwirklicht, sich einmal durch die Drei-Sterne-Welt zu fressen – lucky Bastard!

Am liebsten hat der Film konsequenterweise René Redzepi vom Restaurant Noma in Kopenhagen. Der hat zwar nur zwei Sterne, aber das puristischste Konzept (nur regionale Produkte nach der Jahreszeit) – und fährt nach Dienstschluss mit dem Fahrrad nach Hause.

Redzepi spricht auch offen an, was ein Gourmetrestaurant über Wasser hält: Der Wein. Würde der nicht so teuer sein und die Gäste trotzdem so viel davon trinken, sähe es wirtschaftlich für die Spitzengastronomie düster aus.

Dass Redzepi, von diversen anderen Gastro-Führern längst in den Olymp der besten Köche der Welt erhoben, immer noch auf den dritten Stern warten muss, ist aus Hachmeisters Sicht übrigens klare Michelin-Strategie: Solch großzügigen Sterneregen „gibt es nur da, wo ein eigenes kaufkräftiges Publikum vermutet wird“ – nicht fürs gute Essen, sondern zunächst mal für die roten Bücher des Guide Michelin, versteht sich.

"Die Köche und die Sterne": Arte, Sonntag 26.09.2010 um 21.50 Uhr

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