: Arschlöcher im Brennpunkt
Dem „schmutzigen Erbe“ der Stasi-Akten nach dem „Arschloch“-Streit Biermann/Anderson wollte eine ARD- Brennpunkt -Sendung am Mittwoch abend nachgehen — mit authentischen Berichten aus Prenzlauer Berg. Doch ein Beitrag mit den Statements von Ostberliner Szene-Insidern wurde gekippt, obwohl sich Sascha Anderson dort erstmals in einem Fernsehinterview zur Sache äußerte. Was das „schmutzige Erbe“ angeht, frönen die Medien der sauberen Schwarzweißmalerei. „Wahrheit“-Reporter Detlef Kuhlbrodt geriet in die Dreharbeiten.
Fernsehen ist Terror und das Berliner Leben am Wochenende zuweilen zum Kotzen. Als normal amüsierwilliger Nachtschwärmer mußte ich am letzten Freitag die Kneipe in Prenzlauer Berg, in der der Abend beginnen sollte, nach einem schnellen Bier fluchtartig verlassen. Denn das Fernsehen fing gerade an, mit grellem Schein, und dem üblichen Drumherum, die Prenzlauer-Berg- Szene ein paar Tage nach dem „Arschloch“-Skandälchen authentisch abzulichten.
„Arschlöcher“, dachte ich — anstatt sich die Kneipe und ein paar Komparsen zu mieten, machen sie das normale Publikum zu unbezahlten Statisten. Es sei alles ganz anders, versicherten mir die Fernsehleute ein paar Stunden später bei einem ein kleinen Bier. Dem moralischen Medien-Gesülze in Sachen Stasi/Anderson/Biermann wolle man entgegentreten und statt dessen ein authentisches Bild der Prenzlauer-Berg-Szene zeichnen: An dem Bericht seien nur OstlerInnen beteiligt — die 'Wochenpost‘-Kulturchefin Jutta Voigt, der Ex-Osttaz- Leiter André Meier und die Ex-DFF- Kulturmagazinredakteurin Winniefried König. Und Moderator des „Brennpunkts“, in dem der Beitrag laufen solle, sei Hans-Jürgen Rosenbauer, gerade zum Intendanten des Senders Brandenburg gekürt, der als „sehr sanft und DDR-freundlich“ gelte. Außerdem hätte man die erste Garde aus Prenzlauer Berg vor die Kameras bekommen: Sascha Anderson, Rainer Görß, der als einziger Ex-DDR-Untergrundaktivist an der Berliner „Metropolis-Ausstellung“ beteiligt gewesen war, den Dichter Bert Papenfuß-Gorek, den Klagenfurt-Preisträger Peter Wawerzinek und noch ein paar andere „gute Szene-Statements“. Für die Sendung brauche man sich nicht zu schämen, ich solle sie mir unbedingt angucken.
Gerade die Kultur und vielmehr noch der DDR-Kultur-Untergrund hat als stellvertretend herrschaftsfrei-aufrechte Pornozone unschuldig rein zu sein. Deshalb hieß die Brennpunkt-Sendung auch Schmutziges Erbe — der Titel hätte eigentlich schon Warnung genug sein müssen. Brennpunkt kippte die Reportage, die etwa 20.000 Mark gekostet haben dürfte, und nicht Rosenbauer moderierte, sondern Fritz Pleitgen. Statt eines Szeneberichts gab es Allgemeinplätze der DDR-Underground- Experten „Baby“ Schirrmacher ('FAZ‘) und Freimut Duve (SPD). Anstelle von Sascha Anderson durfte Bärbel Bohley sehr traurig sein. Die sanfte Mutter der gewaltlosen DDR- Revolution war bestens qualifiziert, hatte sie doch kürzlich in der Bürgerbewegungszeitung 'die andere‘ Sascha Anderson nicht nur „der Mitverantwortung für die Gleichgültigkeit der Zuschauer vor dem Asylantenheim in Hoyerswerda“ geziehen, sondern ihn gleich auch noch mit den „friedlichen Familienvätern“ verglichen, die „für Auschwitz verantwortlich waren“.
Auch der inzwischen omnipräsente Schriftsteller Lutz Rathenow war im Brennpunkt zu bestaunen. Und seine Anwesenheit war wahrscheinlich einer der Gründe, weshalb der Beitrag aus dem Brennpunkt geflogen war. Denn schmunzelnd hatte der Dichter Bert Papenfuß-Gorek über den Musteroppositionellen geplaudert. Er kenne „jede Menge Leute“, die Kontakt zur Staatssicherheit gehabt hätten, erklärte Papenfuß. Lutz Rathenow zum Beispiel. Der hätte sich regelmäßig mit „denen“ getroffen, um sich hinterher darüber lustig zu machen, wie blöd die doch wären. Es hätte allerdings auch intelligentere Leute unter den Stasi-Leuten gegeben — das wären diejenigen gewesen, die seine, also Rathenows, Bücher gelesen hätten.
„Die interessiert es eben nicht, was wirklich war“, meint André Meier auf die Frage, wieso der Beitrag gekippt worden wäre. „Die wollen nur dies Schwarzweißdenken haben.“ Und „hübsche DDRlerInnen aus der Szene die sich nichts aus Biermann machen, wollen die schon gar nicht. Das ist eben Pluralimus.“ Und am meisten ärgert ihn, daß er für so eine „idiotische“ Veranstaltung seine kleine Tochter Luise den ganzen Abend allein lassen mußte.
PS: Wie weiter zu erfahren war, flog übrigens noch ein weiterer Beitrag mit dem Titel Biermann-Buhmann aus der Sendung, und mittlerweile soll der künftige Goethepreisträger übrigens während seiner Konzerte in Westdeutschland plötzlich Anfälle erleiden, bei denen er immer nur „Arschloch, Arschloch“ in den Saal brüllt, und niemand versteht ihn. Irgendwie ist das auch traurig: denn wie der Presse zu entnehmen ist, sind mittlerweile zwei Versuche des klampfenden Poeten, in Berlin wieder heimisch zu werden, gescheitert: beim ersten, als er den Ex-Innenminister der DDR, Peter-Michael Diestel (DSU), um die Vermittlung eines Häuschens bat, brauchte der gerade selber ein kostengünstiges; beim zweiten Mal zerschlagzeilte eine Berliner Boulevardzeitung die günstige Sozialwohnung, an der schon das Türschild des Hamburger „Millionärs“ ('Kurier am Abend‘) hing.
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