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Armutsatlas 2011 vorgestelltArme ohne Aufschwung

Auch wenn die Wirtschaft gewachsen ist, hat die Armut nicht abgenommen, stellt eine neue Studie fest. Besonders das Ruhrgebiet steht als großer Verlierer da.

In Mecklenburg-Vorpommern bleibt die Armutsgefährdung hoch: Schlange vor der Demminer Tafel. Bild: dpa

BERLIN taz | Es dauerte an diesem Dienstag nur zwei Stunden, dann war die Liste für die neuen Einkaufsausweise der Dortmunder Tafel gefüllt: 150 solcher Papiere wurden an Bedürftige vergeben. Etwas mehr als 3.000 Ausweise sind bereits im Umlauf, mit ihnen können die Inhaber in acht Filialen Lebensmittel bekommen. Nach eigenen Angaben versorgt die Dortmunder Tafel so etwa 10.000 Menschen. "Die Nachfrage ist nach wie vor groß", sagt Tafel-Sprecher Hans Joswig.

Die potenzielle Zielgruppe für die Hilfe von Joswig und den anderen Tafelmitarbeitern ist in den letzten Jahren gewachsen. Dortmund ist derzeit die westdeutsche Großstadt, in der die meisten Menschen von Armut bedroht sind: Bei 23 Prozent liegt hier die Armutsgefährdungsquote, stellt der aktuelle "Bericht zur regionalen Armutsentwicklung" fest, den der Paritätische Gesamtverband am Mittwoch in Berlin vorgestellt hat.

Als armutsgefährdet gelten dabei all jene, die in Haushalten leben, denen weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens zur Verfügung steht. Die Grenze liegt für Single-Haushalte bei 826 Euro, für eine Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren bei 1.735 Euro.

Der Sozialverband hat für seine Studie die Jahre 2005 bis 2010 in den Blick genommen. Auffällig ist dabei, dass die Armutsgefährdungsquote auch dann kaum zurückging, wenn die Konjunktur anzog. Zwischen 14 und 14,7 Prozent lag die Quote in den zurückliegenden fünf Jahren, 2010 waren es 14,5 Prozent. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, spricht deswegen von einer "verhärteten Armut". Seine Diagnose lautet: "Die Krankheit Armut ist resistent geworden gegen die Hauptmedizin wirtschaftliches Wachstum."

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Eine zweite Auffälligkeit betrifft die großen regionalen Unterschiede: In Bayern, Baden-Württemberg und Hessen sind demnach die wenigsten Menschen von Armut bedroht. Der Wert liegt zwischen 10,8 und 12,1 Prozent der Bevölkerung. In Sachsen-Anhalt, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern leben hingegen die meisten Armen: Hier beträgt die Quote zwischen 19,8 und 22,4 Prozent.

Steuerpolitik verschärft Armut

Besonders negativ treten jedoch die Bundesländer Berlin und Nordrhein-Westfalen hervor. Für Schneider ist das gesamte Ruhrgebiet das "Sorgendkind Nummer 1" - mit Dortmung vorneweg. Die negative Entwicklung im größten Ballungsgebiet Deutschlands sei "besonders beunruhigend". So waren beispielsweise in der Region Bochum/Hagen im Jahr 2005 15,1 Prozent der Menschen von Armut bedroht, 2010 waren es bereits 17,1 Prozent.

Besser sehen hingegen die Entwicklungen in Brandenburg, vor allem im "Speckgürtel" um Berlin, sowie in Hamburg und Thüringen aus. In Thüringen dürfte der Grund darin liegen, dass im Süden des Bundeslandes in den letzten Jahren deutlich mehr Industriearbeitsplätze entstanden sind.

Schneider forderte die Bundesregierung auf, die Armutspolitik grundlegend zu verändern. Sein Fazit: "Ein Gutteil der von der Regierung getroffenen steuer- und sozialpolitischen Maßnahmen ist eher dazu geeignet, die Armutsproblematik zu verschärfen, statt sie zu lösen."

Er kritisierte vor allem die Familien- und Arbeitsmarktpolitik. Und fordert, die Hartz-IV-Regelsätze zu erhöhen, Langzeitarbeitslose besser zu betreuen und mehr Geld für Bildung, Alterssicherung und die Pflege auszugeben. Es bräuchte Investitionen von etwa 20 Milliarden Euro in das Sozial- und Bildungssystem, um die Armut wirksam zu bekämpfen, so Schneider. Um den Betrag "kommen wir nicht herum". Finanzieren will er das über eine höhere Besteuerung von Erbschaften, großen Vermögen und hohen Einkommen.

(Grafik: Lalon Sander)

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9 Kommentare

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  • S
    sinnig

    @ Wacker

    Das Stubaital ist gar kein Tal. Es liegt auf über 2000m.

  • B
    Bob

    Die Frage ist, ob sich die bundesdeutsche Gesellschaft die sich weiter öffnende Einkommensschere leisten will.

     

    Und das will sie wohl: die Lemminge vom Typ Otto Normalverbraucher geben vor (und keinem einzelnen Lemming kann vorgeworfen werden , sich über die Klippe zu stürzen).

     

    Genauso driftet unsere Gesellschaft auseinander.

    Früher vorm Sozialstaat mussten sich Arme mit Almosen abgeben. Die Errungenschaft des 20. Jhdt. war eben der Sozialstaat der Armutsbekämpfung zur Aufgabe des Staates machte , durch Steuern finanziert ,so das jeder Bürger sich sozusagen frei kaufte gegenüber den Bedürftigen. Das ist positiv gemeint: Nur so kann effektiv Armut reduziert werden.

     

    Wir erleben seit geraumer Zeit aber wieder den Rückschritt der sich unter Schwarz-Gelb extrem beschleunigte: Armut wird privatisiert, die Tafeln z.b. übernehmen immer mehr Aufgaben es Staates.

    Währenddessen ziehen sich die Einkommensstarken aus der Verantwortung.

     

    Diese Rechnung geht in den USA z.b. für den Mittelstand nicht mehr auf: Nach unten ist noch Mobilität im Abstieg, nach oben ist der Weg aber dicht.

     

    Deutschland unter Merkel, Schröder und von der Leyen sind auf dem besten Wege in diese Verhältnisse.

  • RS
    Reinhold Schramm

    Armut in Deutschland!

     

    Der produzierte Reichtum in der deutschen Gesellschaft steigt nach oben, und unten explodiert die Armut.

     

    Hierbei ist ein Vergleich der Armut in Deutschland mit Afrika, Südamerika, Asien oder Indien unsinnig.

     

    Vergleichen muss man stets die reale historisch technologisch-wissenschaftliche Entwicklung unter den vergleichbaren Verhältnissen in den europäischen Gesellschaften; so auch in anderen historischen Entwicklungsregionen der Welt.

     

    Deutschland ist noch immer einer der führenden Reichtumsgesellschaften der Welt. Hier muss man die Lebensverhältnisse der Menschen vergleichen! - natürlich unter Beachtung der privaten Eigentumsverhältnisse an Produktionsmitteln und der differenzierten realen Ausbeutungsverhältnisse!

  • WW
    W. Wacker

    Die deutschen "Armen" sind mit die reichsten Armen der Welt.

     

    Wenn alle doppelt so viel verdienen/bekommen wie bisher, ohne dass die Preise steigen, bleibt die "Armut" nach der deutschen Berechnung gleich.

     

    Nach der gleichen sonderbaren Formel ist Nordkorea eines der Länder mit der geringsten Armut. Wer will dahin auswandern?

  • M
    Marc

    Nach der Definition des Armutsbegriffs, würden noch etliche Menschen mehr in Dortmund in die Armut getrieben, wenn zum Beispiel ein mehrfacher Einkommensmillionär wie Michael Schumacher sein Domizil vom Genfer See an den Dortmunder Phönix See verlagert. Alles reine Definitonssache!

  • WB
    Wolfgang Banse

    Arme profitieren nicht am Aufschwung

    Gegenwärtig flöriert die Wirtschaft trotz Finanz-ud Eurokriese.Aber nicht jeder profitiert vom Aufschwung,wie z.B. Menschen die in relativer Armut leben.Tendenz steigend.

    Es reicht bei weitem nicht aus im regelmäßigen Abstand Armutsberichte heraus zu geben und diese nicht zu beheben.

    Es ist ein Skkandal ohne gleichen ,dass in einem der reichsten ländfer der welt,wie es die Bundesrepublik-Deutschland ist,dass es ein grasierende Kinder-und Alzersarmut es gibt.

  • S
    Schwemmlandebene

    Weihnachten steht vor der Tür, doch ich will keine Kekse kaufen.

    http://www.youtube.com/watch?v=jMwhvXj2WFA

  • KA
    Kein Auf schwung

    Es gibt keine Industrien mehr wo man hunderttausende überflüssige Leute arbeiten lassen kann wie früher bis zum nächsten Krieg.

    Autobahnbau, Eisenbahnbau, Kanal-Buddeln, Pyramiden-Bau, Immobilien-Blasen-Bau, Osten-Wiederaufbau, Nachkriegs-Wiederaufbau.

    Auch viele Verwaltungen wären mit anständiger Software nur ein Zehntel so groß wie jetzt.

    Die Amerikaner und CNBC wissen, das nach einem Abschwung weniger neu eingestellt werden als vorher entlassen wurden. Der Ping-Pong-Jojo-Effekt beim Abnehmen funktioniert hier nicht. Die Firmen sind immer schlanker aufgestellt.

    Um sowas zu handlen muss man schlauer und vorausschauender sein als alle Parteien. Wenn also die Babyboomers in Rente gehen und Krankenschwestern brauchen, werden die Minister rumjammern und Millionen Krankenschwestern jahrelang ausbilden die dann überflüssig sind, weil Computer besser und viele Rentner in der Zwischenzeit weggestorben sind. Politik korrigiert immer nur hinterher weil auch die Presse immer nur wenn es viel zu spät ist, Politiker kritisiert statt Manager und Politik vorausschauend verbindlich zum sinnvollen Handeln zu bringen.

    Berlin hat von München mit dem Speckmantel und unbezahlbaren Wohnungen für normale Arbeiter auch nichts gelernt. Tja. Dann bezahlt die teuren Mieten wo keiner etwas von hat ausser Mitternachts-Notaren und ihren Freunden.

  • B
    Bavi

    Weihnachten,politische Krise.

    Es war einmal. Da waren die Genossen von SPD und Gewerkschaft auf unsere Seite – jetzt sind

    die uns Fremd, sogar Feinde geworden. (Die Kinder haben den Papa Helmut Schmid gelogen und verkauft.) Die SPD und die Grünen haben die soziale -marktwirtschaft ruiniert.

    Die Damen und Herren von CDU sind keine Damen und Herren mehr, sonder „Miss und Mister“ geworden. Es ist kein Zufall das die „Christen“, die Politik von SPD und Grünen weiter vorsetzen.

    Das Wort „Christen“ bei CDU heißt jetzt Antimenschen.

    Die Rente abgeschafft, Leiharbeit = Menschen zu Sklaven degradiert. Harz IV = gesteuerte Armut aus Nürnberg und Berlin.(Sozialarbeit gehört in der Gemeinde und Kommune)

    In Betrieben herrscht Chaos, die Arbeiter schuften bis zum umfallen. Mittagspause gekürzt (Früher war es 45 Minuten jetzt nur 15), die Arbeitszeit verlängert.

    Die Akkord -arbeit wurde abgeschafft. Die Stückzahl richtet sich nach der Geschwindigkeit von Produktionsanlagen. Nach dem Motto mit weniger Leute - mehr machen. Die Führung haben die Computer-Manager übernommen die keine Ahnung von körperliche Arbeit haben. Die korrupte presse schweigt. Die Prominenten weinen bei der Geld- spenden für armen von Freude. Und schweigen. Die Professoren zahlen die Putzfrau daheim 10-12 Euro pro Stunde und diskutieren über Mindestlohn in Betrieben von 7-8 Euro. Unzählige intellektuelle, Medien -vertreter und Politiker erzählen uns Märchen und singen Lieder von bessere Zukunft für alle Bürger Europas. (Zukunft oder Vergangenheit 1915 – 1945?) Die Regierung ist schwach wie nie zuvor. Einen Minister folgt den anderen. Selbst die Bundespräsidenten . Fast alle sind zu schwach und korrupt. Zu weit haben die sich von dem Volk entfernt. Es sind nicht die Maya, die das Ende der Welt vorausgesehen haben, sonder wir selbst in dem wir unseren Werten und Moral zu kaufen und verkaufen anbieten. Es lebe die Spekulanten. Das Jahr 2012 gehört euch! In dem Sinne freundliche Weihnachten und viel Glückwünschen.