piwik no script img

Armes, kleines Luder

■ Ein Stück, eine Person: Borcherts „Schischyphusch“ im Monsun-Theater

Es ist nicht immer leicht, beim Trostspenden die passenden Worte zu finden. Doch selbst als äußerste Notlösung würde man schwerlich „armes, kleines Luder“ akzeptieren. Wen sollte man damit beglücken? Vielleicht einen armen, einsamen pygmäenhaften Kellner in einem schlechtsitzenden Jackett und mit angeborenem Sprachfehler? Das legt zumindest Wolfgang Borcherts Erzählung Schischyphusch oder der Kellner meines Onkels nahe, die die Theatermanufaktur in der Regie von Michael Kaller als Ein-Mann-Stück im Monsun-Theater aufführt.

Der Schauspieler Hans-Christoph Michel wechselt trotz minimalistischer Requisite – ein Stuhl sowie das abscheulich gemusterte und knackenge Jackett – unablässig zwischen drei Charakteren hin und her. Mal ist er der kindliche Erzähler, der Neffe des Onkels, mal besagter Kellner, der bei jedem „Bitte schehr“ die Grenzen des Erträglichen überschreitet, was den Grad an Servilität betrifft.

Mit dem Öffnen des Jackettknopfes schlüpft Michel in die Gestalt des einbeinigen Onkels, der all das bewahrt hat, was dem Kellner durch die Jahre des Spotts abhanden gekommen ist. Immerhin hat der Onkel nur ein Bein und dazu die gleiche Sprechstörung wie der Kellner. Und trotzdem ist er ein wahrer Lebemann, ein Frauenheld, Autoliebhaber und irgendwie ein guter Mensch. Und einer von denen, die ohne Hemmungen mit „armes, kleines Luder“ ihr Mitleid darüber bekunden, daß jemand mit „scho einem garschtigen Schungenfehler“ herumläuft.

Liv Heidbüchel

noch morgen und Sonntag sowie am 27. und 28. März, 20 Uhr, Monsun-Theater

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen